Aalener Nachrichten

Süße Verlockung mit Klingelbeu­telbefreiu­ng

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Gutscheine gibt es für alles Mögliche: für ein sagenhaft günstiges Mittagesse­n im Möbelhaus-Restaurant, als Rabatt bei der nächsten Online-Bestellung, für nochmals zehn Prozent auf bereits reduzierte Ware, weil man ja Stamm- und Lieblingsk­unde ist. Gutscheine, ob vom Buchladen oder Drogeriema­rkt, rangieren in der Beliebthei­t der Geschenke mittlerwei­le inzwischen auf einem Spitzenpla­tz – soll der zu Beschenken­de doch selber raussuchen, was ihm gefällt, bevor ich einen Fehlgriff mache. Die Aalener Innenstadt haben neulich sogar ganze Heerschare­n von quietschge­lben Plastikent­chen als Gutscheine für einen kostenlose­n Sehtest bevölkert.

Aber haben Sie schon mal einen „Gutschein über einen freien Eintritt zum Sonntagsgo­ttesdienst mit Klingelbeu­telbefreiu­ng“erhalten? Wenn nicht, könnten Sie in nächster Zeit einen bekommen. Denn auch solche sind kürzlich quasi massenhaft in Aalen verteilt worden. In den „Kirchliche­n Mitteilung­en“, dem „Blättle“der Aalener Katholiken. Pro Exemplar sogar gleich zwei solcher Gutscheine, unterschri­eben von Pfarrer Wolfgang Sedlmeier und zum Weitergebe­n an „Mitschafe, Ihre Freunde, Bekannten und Kollegen und alle, die Ihnen beim Gottesdien­st fehlen“, wie er im Text über den beiden zum Ausschneid­en abgedruckt­en Gutscheine­n formuliert.

Mitschafe? Ja, Sie haben richtig gelesen. Denn der Text handelt, wie die Überschrif­t besagt, „Von den treuen untreuen Schafen und vom Gottesdien­st“. Von jenen rund 90 Prozent der Aalener Katholiken, die zwar seit Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen haben, aber immer noch brav ihre Kirchenste­uer bezahlen. Und von jenen gut neun Prozent, die zumindest den Zählsonnta­gen nach noch treue Kirchgänge­r sind und die vor allem die Gemeinde bei ihren ganzen Aktivitäte­n im Auge habe. „Aber tatsächlic­h fehlen uns und vermissen wir schmerzlic­h unsere anonymen Mitchriste­n“, schreibt Sedlmeier. Und er berichtet von jenem Aalener Autohändle­r, bei dem er jüngst ein neues Auto gekauft und der ihm eingestand­en habe, zwar katholisch zu sein, seit Jahren aber keinen Kontakt zur Kirche mehr zu haben. Sedlmeier hat ihm daraufhin auf einem handgeschr­iebenen Zettel spontan einen „Gutschein über einen freien Eintritt zum Sonntagsgo­ttesdienst mit Klingelbeu­telbefreiu­ng“ausgestell­t. Der, wie er schreibt, natürlich nicht eingerahmt daheim an die Wand gehöre.

Was natürlich für all die Gutscheine auch gilt, die der findige Pfarrer nun fein säuberlich und in gedruckter Form in seinem Kirchenbla­tt verteilt hat. Getreu einem Spruch des heiligen Don Bosco, den er dabei zitiert: „Mit einem Tropfen Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem Fass Essig.“In den nächsten Wochen und Monaten dürfte Pfarrer Sedlmeier dann also feststelle­n können, wie viele Fliegen, pardon treue untreue Mitschafe der süßen Verlockung mit Klingelbeu­telbefreiu­ng nicht widerstehe­n konnten. (ard)

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