Ein Risiko bleibt
130 bis 140 Motorradunfälle im Ostalbkreis pro Jahr – Fast immer gibt es Verletzte
ELLWANGEN - Ein junger Mann lehnt auf der Landstraße am Heck seines Autos. Er blickt auf seine Hände. Bis eben hat er das Bein eines verunglückten Motorradfahrers gehalten. Der Fuß hing nur noch an einem Fetzen. Nein, sagt er, nach diesem Anblick kann er sich nicht vorstellen, jemals noch selbst das Motorradfahren zu beginnen. Andere tun es, seit Jahren, mit Begeisterung und im Bewusstsein des Risikos. Eine Abwägung.
Sebastian Fuchs und Alexander Reuter, beide 50, sind gestandene Männer mit Schultern wie Schränke. Man nimmt ihnen die Motorradfahrer ab, auch wenn sie ohne Maschine unterwegs sind. „Ich fühle mich wohl auf dem Bike“, sagt Fuchs. „Cool down-Fahren“ist sein Ding, und das heißt: „Es geht nicht um die Geschwindigkeit, es geht um den Genuss. Wir müssen uns auf der Straße nichts beweisen.“Sein Freund nickt. „Wenn man jahrzehntelange Erfahrung hat und aufpasst, ist man nicht so gefährdet“, sagt Reuter.
Fuchs ist der Vorsitzende, Reuter der Kassierer des Motorradclubs (MC) Ellwangen. Beide fahren, seit sie denken können. „Damals war das so, wenn man ein junger Kerl war. Erst kam das Motorrad, später das Auto“, erklärt Fuchs. Der Genuss auf dem Bike sei mit nichts zu vergleichen. „Das Gefühl der Freiheit, der Sound der Maschine, die Kraft beim Anzug“, schwärmt Reuter.
Seit 1987 gehören die beiden zum MC. Der Verein bedeutet ihnen viel: Freundschaften, Feste, Treffen, Ausfahrten, Reisen, 4000 bis 5000 Kilometer im Jahr kommen da zusammen. Klar könne auch etwas passieren, wie beim Autofahren auch: „Für viele Unfälle kann der Motorradfahrer ja nichts.“Doch distanzieren sich Fuchs und Reuter von den Bikern, die übertreiben. „Wenn einer meint, er muss mit den Knien auf der Straße schleifen, geht das eine Zeit lang gut, dann hat er verloren“, sagt Reuter.
Kleine Fehler, große Wirkung
So ähnlich sieht Bernhard Kohn das auch. „Motorradfahrer sind keine anderen Menschen als Autofahrer“, sagt der Sprecher des Polizeipräsidiums Aalen. Manche seien Raser, mehr Unfälle würden aber durch Fahrfehler verursacht. Das Problem beim Bike: Es fehlen der Blechkasten außen rum und der Gurt. „Deshalb hat auf dem Motorrad schon ein kleiner Fehler eine große Wirkung.“
Kohn belegt das mit Zahlen. Laut Statistik gab es im Jahr 2016 im Ostalbkreis insgesamt 7811 polizeilich gemeldete Unfälle. Nur in 130 davon war ein Motorrad verwickelt also nur in jeden 60. Unfall. Was nicht verwundere, waren doch rund 193 000 Pkw zugelassen gegenüber 21 000 Motorrädern. Betrachte man aber die Unfälle, bei denen es Verletzte gab, war schon an jedem zehnten ein Motorrad beteiligt. Von den Unfällen mit Schwerverletzten erwies sich jeder fünfte als Motorradunfall. Und von den 15 Unfällen mit Verkehrstoten im vergangenen Jahr passierte jeder Dritte unter Beteiligung eines Motorradfahrers. Für die Vorjahre gelten ähnliche Zahlen, und auch die laufende Saison weiche kaum vom Trend ab. Kohn: „Bisher haben wir vier tote Motorradfahrer.“Ganz klar also: Biker sind gefährdeter als Autofahrer, mahnt er.
Zu schnelles Fahren ist die Hauptunfallursache
Dann gibt der Polizeisprecher noch etwas zu bedenken: „Die Hauptunfallursache bei Motorradfahrern ist die Geschwindigkeit.“Auch das belegt Kohn mit Zahlen. Demnach ist bei Autounfällen zu schnelles Fahren zu 17 Prozent die Ursache, bei Motorradunfällen zu 66 Prozent. Dabei gehe es nicht unbedingt um Überschreitungen des Erlaubten, sondern vor allem um zu schnelles Fahren für die Umstände. „Wer 100 fährt, wo 100 erlaubt sind, kann trotzdem aus der Kurve herausgetragen werden, wenn er nicht beachtet hat, dass die Fahrbahn nass ist“, verdeutlicht Kohn. Der Autofahrer demoliere sein Auto, der Motorradfahrer sich selbst.
Deshalb plädiert der Polizeisprecher neben Helm und Schutzkleidung für defensives Fahren. „Das bedeutet mehr als nur ,nicht aggressiv’ zu fahren“, sagt Kohn. Es bedeute die eigenen Fehler abzustellen und mit denen der anderen zu rechnen. Also: Langsam machen vor Kreuzungen, es könnte ja ein Autofahrer rausfahren, der den Biker übersieht. Mit Kontrollen vor allem der Geschwindigkeit greift die Polizei den Motorradfahrern dabei unter die Arme. Nicht unbegründet: „Bei 536 Motorradkontrollen 2016 gab es 276 Geschwindigkeitsverstöße“, erzählt Kohn. Eine hohe Zahl. 2017 seien deshalb noch mehr Kontrollen geplant.
Der Polizeisprecher ist „NichtFahrer aus absoluter Überzeugung“, seit er am Anfang seiner Berufslaufbahn nachts zu einem Motorradunfall gerufen wurde. „Wir haben geholfen, den Fahrer aufzuklauben. Wir hatten Tüten, schritten die Strecke ab und sammelten fünf Mark große Stücke ein“, erinnert sich Kohn. „Das war ein prägendes Erlebnis.“
Ein Unfall kann immer passieren, wissen auch Fuchs und Reuter. Dann „muss man sein Schicksal annehmen“, sagt Fuchs. Das Risiko gehen sie ein.