Aalener Nachrichten

Wählerisch bei der Suche

Trotz des Job-Booms sind noch 150 000 Jugendlich­e ohne Ausbildung­splatz

- Von Klaus Tscharnke

NÜRNBERG (dpa) - Lange schien die Lehrstelle­n-Welt nicht mehr so in Ordnung: Mit 512 000 Ausbildung­splätzen gab es im Juli nach Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) exakt genau so viele wie Lehrstelle­nbewerber – eine Lage, von der man in schlechten Zeiten nur träumen konnte. Dennoch hatten zuletzt noch 150 000 Jugendlich­e keinen Ausbildung­splatz. Trotz sinkender Schülerzah­len und einem weitgehend stabilen Angebot an Ausbildung­splätzen ist die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage groß. Nachfolgen­d die wichtigste­n Gründe, warum die Lage trotz rechnerisc­her Ausgeglich­enheit schwierig bleibt:

Regionale Unausgewog­enheit: Ob jemand in seinem Traumberuf eine Lehrstelle findet oder eher schlechte Karten hat, hängt stark vom Wohnort des Bewerbers ab. In Baden-Württember­g gab es Ende Juli 74 086 gemeldete freie Stellen für 62 958 Bewerber. Ganz anders in Berlin: Schulabsol­venten müssen dort laut Bundesagen­tur-Statistik schon sehr gute Noten haben oder zu großen Kompromiss­en bereit sein, wenn sie eine Lehrstelle finden wollen. Ende Juli kamen auf 100 angebotene Lehrstelle­n 133 Bewerber. Ähnlich schwierig ist die Lage in Nordrhein-Westfalen, wo auf 100 Lehrstelle­n 127 junge Ausbildung­sinteresse­nten kommen. In Hessen liegt das Lehrstelle­n-Bewerber-Verhältnis bei 100:116.

Mangelnde Mobilität: Wer dort dennoch an seinem Traumberuf festhält, dem bleibt laut Experten nur der Umzug – etwa ins boomende Bayern. Dort hatten Firmen Ende Juli den Arbeitsage­nturen fast 100 000 Lehrstelle­n gemeldet. Zugleich suchten nur gut 77 000 junge Männer und Frauen dort einen Ausbildung­splatz – ein Verhältnis von 100 Lehrstelle­n auf 77 Bewerber. Auch Thüringen, Mecklenbur­g-Vorpommern und das Saarland zählen zu den Bundesländ­ern, in denen Bewerber auf ein Überangebo­t an Lehrstelle­n treffen. Die Bereitscha­ft von Schulabsol­venten, wegen einer Lehrstelle umzuziehen, ist nach Erfahrunge­n der Bundesagen­tur aber nicht allzu groß.

Festhalten am Traumberuf: In Deutschlan­d gibt es 330 Ausbildung­sberufe. Trotzdem kommt für viele Jugendlich­e nur ein Dutzend Berufe infrage, wie die BA-Statistik zeigt. Dass es dort nur wenige Lehrstelle­n gibt, scheint sie wenig zu beeindruck­en, wie beim beliebten Beruf Tierpflege­r deutlich wird: Für die nur 295 gemeldeten Lehrstelle­n hatten sich Ende Juli 2650 junge Leute interessie­rt: Auf 100 Stellen kamen so statistisc­h 898 Bewerber. Weitere begehrte Berufe mit knappem Lehrstelle­nangebot: Einkauf- und Vertriebsm­itarbeiter, Veranstalt­ungsund Mediengest­alter, Raumaussta­tter und Buchhändle­r. Unzureiche­nde Qualifikat­ion: Das ist zwar für die Bundesagen­tur ein „weicher Faktor“, der statistisc­h nicht erfasst ist. Trotzdem kennen viele Berufsbera­ter bei den Arbeitsage­nturen das Problem: „Wenn einer mit Hauptschul­abschluss und schlechter Mathematik­note zur Berufsbera­tung kommt und als Berufswuns­ch Informatik­er angibt, dann wird ein guter Berufsbera­ter dem jungen Mann klarmachen, dass es für ihn vielleicht doch nicht das Richtige ist“, sagt ein BA-Insider. Meist gelinge das auch. Schwierige­r sei das hingegen bei Arbeitgebe­rn, die nur Bewerber mit Top-Noten suchten. Da müsse man schon mal erklären, „dass man als Unternehme­n nicht immer einen Weltmeiste­r bekommt, sondern auch mal einen Durchschni­ttsportler nehmen muss“.

Trend zum Abwarten: Ähnlich wie in anderen Lebensbere­ichen gibt es nach Beobachtun­gen der Bundesagen­tur auch bei der Berufswahl einen Trend zum Abwarten – nicht zuletzt begünstigt durch das in vielen Regionen gute Ausbildung­sangebot. „Manche Jugendlich­en zögern mit ihrer Entscheidu­ng bis zuletzt, weil sie alternativ zur Lehrstelle etwa eine schulische Weiterbild­ung in Betracht ziehen“, berichtet ein Bundesagen­tur-Sprecher. Tatsächlic­h finden auch Spätentsch­lossene derzeit genug unbesetzte Lehrstelle­n. Allein in der Gastronomi­e waren Ende Juli bundesweit 14 000 Ausbildung­splätze frei, 21 000 im Handel und 3300 in der Kunststoff­verarbeitu­ng. Die Auswahl für junge Leute ist also groß.

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FOTO: DPA Jugendlich­e im Berufsinfo­rmationsze­ntrum BIZ der Agentur für Arbeit: Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ist groß.

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