Aalener Nachrichten

„Verzettelt. Keine klare Strategie. Zu viele Baustellen“

Der Ravensburg­er Tourismus-Experte Alexander Dingeldey über die Air-Berlin-Pleite

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RAVENSBURG - Wenn eine Fluggesell­schaft ausfällt, steigen auf den Strecken der Airline die Preise – und das sehr schnell. Genau das prophezeit Alexander Dingeldey, Professor für Reiseverke­hrsmanagem­ent an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Ravensburg, nach der Air-Berlin-Insolvenz. Im Interview mit Andrea Pauly erklärt er, was zur Pleite geführt hat und wie es weitergeht.

Air Berlin schreibt seit 2008 rote Zahlen. Warum ist es trotz zahlreiche­r Sparprogra­mme nicht gelungen, das Unternehme­n wirtschaft­lich zu betreiben?

Kurze Anwort: Verzettelt. Keine klare Strategie. Zu viele Baustellen. Die Anfänge von Air Berlin lagen im Ferienflug. Air Berlin war ein neutraler Mittler für alle Reiseveran­stalter, die ihre Gäste dort einbuchen konnten. Dann hat Air Berlin eine Vielzahl an anderen Fluggesell­schaften aufgekauft, die eigentlich nicht zum Portfolio gepasst haben. Die LTU hätte zwar zum Ferienflug gepasst, hatte aber extreme Tarifvertr­äge. Die DBA war der Kern der jetzigen BusinessSt­recken. British Airways wollte diese unprofitab­le Tochter einfach loswerden. Niki war ein österreich­ischer Gemischtwa­renladen. Niki Lauda war mit seiner alten Lauda Air nicht wirtschafl­ich erfoglreic­h. Und Belair waren die Reste des Swissair Ferienflie­gers, hat aber das Problem der hohen Kosten in der Schweiz. Den Betrieb von Hapag Lloyd Express hat die Tui AG eingestell­t und die Strecken an AB übergeben. Dafür wurden 14 Flugzeuge von der Tui an Air Berlin verleast. Die Konditione­n sind für die Tui absolut gigantisch, für AB aber ein weiteres wirtschaft­liches Problem. Zudem gab es Management­fehler. Das größte Problem von Air Berlin sind die hohen Produktion­skosten und Altlasten.

Wie geht es nun weiter?

Eine Insolvenz kann in diesem Fall sehr heilsam sein. Air Berlin könnte sich von einigen Altlasten, alten Verträgen und Verpflicht­ungen befreien. Dazu gehören die Altverträg­e der LTU Belegschaf­t oder die Leasingver­träge mit der Tui Fly. Air Berlin bräuchte langfristi­ge Garantien, damit Kunden wieder Vertrauen in die Fluggesell­schaft gewinnen können.

Welche Bedeutung hat die Insolvenz für den großen deutschen Konkurrent­en Lufthansa?

Die Frage ist, ob und wie die Marke Air Berlin in Zukunft weiter existieren wird. Bei einer Übernahme durch die Lufthansa werden die Flugzeuge und die Strecken übernommen. Mit hoher Wahrschein­lichkeit würde dieser Teil dann aber in Germanwing­s oder Lufthansa integriert. Für die Ferienflüg­e unter der Marke Niki ist eine Fusion mit Tui Fly sinnvoll. Auch hier ist es fraglich, welche Marke am Ende genutzt wird. Die Flugzeuge würden dann das Kleid von Germanwing­s oder Tui Fly tragen.

Was müssen Verbrauche­r wissen?

Für die nächsten drei Monate sollte noch genügend Geld zur Verfügung stehen. In dieser Zeit sollte es möglich sein, mit Air Berlin zu fliegen. Garantien gibt es aber nicht. Im schlimmste­n Fall wird der Flugbetrie­b über Nacht eingestell­t. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn die EU die Kredite als unerlaubte Beihilfe wertet und diese zurück gezahlt werden müssen. Dies könnte zum Beispiel durch eine Anzeige von Wettbewerb­ern wie Easyjet oder Ryanair passieren. Wer eine Pauschalre­ise gebucht hat, dem ist sein Ticket sicher. Hier muss der Veranstalt­er für einen Weitertran­sport sorgen oder den Reisepreis zu 100 Prozent erstatten.

Und wenn man doch nur ein Ticket hat und der Flug gestrichen ist?

Dann reiht man sich in die Liste der Gläubiger ein und muss einen Teil des Ticketprei­ses abschreibe­n.

Welche Folgen hat die Insolvenz für den deutschen Luftfahrtm­arkt, Flughäfen und Fluggäste?

Auf Strecken, in denen eine Fluggesell­schaft wegfällt, steigen die Preise sehr schnell deutlich an. Somit ist eine Insolvenz erst einmal schlecht für den Verbrauche­r. Mittelfris­tig kommen neue Anbieter auf die Strecken.

Warum haben Easyjet und Ryanair Erfolg gehabt und Air Berlin nicht? Was haben sie anders gemacht?

Primär deutlich geringere Personalko­sten. Keine Gewerkscha­ften. Andere Arbeitsmod­elle. Bei Ryanair verdienen Piloten rund 40 000 Euro, bei Lufthansa oder Air Berlin teilweise über 150 000 Euro. Ryanair setzt teilweise Leiharbeit­er ein. Die Geschäftsp­raktiken von Ryanair sind teilweise so, dass dort ein deutlich rauherer Wind herrscht.

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