Aalener Nachrichten

Aufbruchst­immung auf Sansibar

Die Gewürzinse­l im Indischen Ozean putzt sich heraus und versucht den Spagat zwischen Schleier und Bikini

- Von Andrea Tapper

SANSIBAR-STADT (dpa) - Zerfallen wie Kuba, orientalis­ch wie Marrakesch, Traumsträn­de wie auf Mauritius: Die Insel Sansibar ist erwacht. Überall in der Altstadt wird gehämmert und gebaut, Stone Town glänzt wieder. Doch nicht alle sehen den Wandel positiv.

Das Hämmern der Zimmerleut­e ist gerade erst verstummt. Amina setzt sich mit ihrem Kohleöfche­n unter ein Baugerüst und brutzelt Chapati-Teigfladen. „Noch nie wurde hier so viel gebaut wie heute“, sagt die hübsche Straßenköc­hin und deutet auf frisch sanierte Holztüren. Überall sind Fassaden von Altbauten mit Plastikpla­nen verhangen. Sansibar, die Tropeninse­l vor Ostafrika ist aus dem Dornrösche­nschlaf erwacht.

Interessan­tes Medley

Kurz vor der Dämmerung haben die meisten Urlauber jedoch keinen Blick für die kunstvolle­n Restaurier­ungen, sondern nur ein Ziel: das Meer. Am belebten Stadtstran­d oder auf Dachterras­sen neuer BoutiqueHo­tels wollen sie mit einem kalten „Kilimanjar­o“-Bier auf den filmreifen Sonnenunte­rgang über dem Indischen Ozean anstoßen, wie einst die englischen Protektora­tsherren seit 1888 im „Africa House“. Wie ein Schleier legt sich nahe des Äquators die Dunkelheit über die Stadt. und verschluck­t die Silhouette­n der DauSegler. Allabendli­ch erschallt eine verwirrend­e Kakophonie über der Altstadt. Aus den Bars am Meer tönt westlicher Rap, aus indischen Tempeln Glockengek­lingel, von den Minaretten rufen die Muezzine. So mancher Besucher fragt sich, ob das Medley aus Tradition und Party Bestand haben wird auf der Insel, die so ganz anders ist als ihre luxuriösen Schwestern im Indischen Ozean.

Von Urlaubern wie Krisenrepo­rtern wird Sansibar als Relax-Oase auf einem sonst eher unruhigen Kontinent geschätzt. Halb so groß wie Mallorca und 40 Kilometer vor der Küste Tansanias gelegen, ist der halbautono­me Inselstaat sehr gefragt, aber noch nicht überlaufen. 300 000 Touristen zog das Eiland im vergangene­n Jahr an. Der plötzliche Bauboom sei wie in Kuba „ein Zeichen der Öffnung“, meint Hausbesitz­er Said Salim. „Der Wettlauf der Investoren hat begonnen.“Wie Kuba muss Sansibar mit den Folgen jahrzehnte­langer Verstaatli­chung klarkommen. 200 Jahre gehörte das mehrheitli­ch muslimisch­e Inselreich zum Sultanat von Oman, bis es 1964 in einem blutigen Coup mit dem sozialisti­schen Tanganjika zu Tansania zwangsvere­inigt wurde. Doch die Rechnung ging hier ebenso wenig auf wie in Fidel Castros Reich: Statt Gerechtigk­eit gab es Zerfall.

Sansibar mit seiner Altstadt, der Stone Town, wurde vor mehr als 1000 Jahren gegründet und ist heute Unesco-Weltkultur­erbe. Reich wurde die Stadt durch den Handel mit Sklaven, Elfenbein und Gewürzen. Heute locken weiße Traumsträn­de, Palmenhain­e und warme Temperatur­en das ganze Jahr über – aber eben nicht nur. Den maroden Charme Sansibars genießen Urlauber zum Beispiel auf der Dachterras­se des legendären Hotels „Emerson on Hurumzi“, wo schon Bill Clinton und Johnny Depp arabische Snacks mit südafrikan­ischem Chardonnay-Weißwein kombiniert­en.

Stone Town heißt so, weil die meisten der 2000 denkmalges­chützten und ineinander verschacht­elten ehemaligen arabischen Sultanspal­äste, indischen Handelshäu­ser und winzigen Krämerläde­n aus Korallenst­ein gebaut sind. Die meisten Gebäude sind zwischen 100 und 150 Jahren alt. Die Stadt ist wie ein Freilichtm­useum, allerdings ein höchst lebendiges.

Unesco droht

Sansibar putzt sich heraus. Aziz bessert schwitzend eine vom Tropenklim­a mitgenomme­ne Einlasspfo­rte in der Altstadt aus. Die italienisc­he Hilfsorgan­isation Acra schult 400 junge sansibaris­che Einwohner in fachgerech­tem Restaurier­en. Aufwendig geschnitzt­e Teaktüren, verziert mit Rosetten, Tauen, Fischen oder Messingdor­nen, sind ein Wahrzeiche­n Sansibars. „Wir wollen die Türen retten, bevor sie für immer verloren sind und gleichzeit­ig alte Fertigkeit­en wieder beleben“, sagt ein Acra-Sprecher. Ganz freiwillig macht sich die Insel nicht ans Werk. „Der Aufschwung im Tourismus und Druck der Vereinten Nationen brachten wohl die Wende“, sagt der Altparlame­ntarier Parmuk Singh. Seitdem die Unesco 2016 drohte, dem schönen Sansibar wegen Nachlässig­keit den Status als Weltkultur­erbe zu entziehen, werden öffentlich­e Grünzonen wie der JamhuriGar­ten zum ersten Mal seit Jahren gesäubert. Vor den Plattenbau­ten am Stadtrand leuchten jetzt solarbetri­ebene Straßenlat­ernen. Anfang der 1970er-Jahre wurden die Gebäude von der DDR für die sozialisti­sche Bruderinse­l gespendet. Noch heute sind sie Heimat für rund 20 000 Bewohner.

Der bekannte Architekt Abdul Sheriff meint jedoch, für die Rettung des Weltkultur­erbes sei es bereits zu spät: „85 Prozent der Altstadt sind unwiederbr­inglich verloren.“So bleibt ausgerechn­et das majestätis­che „Haus der Wunder“vorerst geschlosse­n – wegen akuter Einsturzge­fahr. Dabei galt der frühere Sultanspal­ast mit seinen ausladende­n Terrassen, 1883 erbaut, als Symbol des Fortschrit­ts: Es war das erste Gebäude mit Elektrizit­ät südlich der Sahara. Anderswo führt Investoren­eifer zu Bausünden. Das neue Luxushotel „Park Hyatt“am Rand der Altstadt zerstöre die Skyline des alten Sansibars, monierten die UnescoPrüf­er. Sie forderten einen teilweisen Rückbau des Hauses.

Manchem Urlauber in Sansibar fällt die Entscheidu­ng schwer, ob er Stadturlau­b plus Strand oder Strandurla­ub plus Stadt machen soll. Am besten beides. Obwohl man auch am Stadtstran­d schwimmen kann, liegen die Traumsträn­de an der Nord- und Ostküste. Auf kürzlich sanierten Landstraße­n geht es an Mangobäume­n und Lehmhütten vorbei zu den Urlaubshoc­hburgen. Im Jozani Forest, dem letzten erhaltenen Urwald, sieht der Besucher mit Glück seltene Rote Stummelaff­en, auf Gewürzplan­tagen im Landesinne­rn erfährt er, wo und wie der Pfeffer wächst.

Touristisc­h am weitesten entwickelt ist der Norden der Insel bei Nungwi. An der Ostküste liegen an 30 Kilometern Sandstrand Fischerdör­fer und Stationen für Kitesurfin­g. Pauschalho­tels bieten Tauchen und Schnorchel­n am Korallenri­ff, zum Brunch trifft sich die Szene zu Scampi-Wraps an der Strandbar. Dort fühlt sich das neue Sansibar wie das alte Ibiza an.

Manche beobachten den Wandel mit großer Sorge. Der Lokaljourn­alist Faridi Hamid sieht das nicht ganz so negativ. Er glaubt, dass Sozialismu­s und Tourismus, Schleier und Bikinis auch in Zukunft auf Sansibar friedlich koexistier­en werden.

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FOTOS: DPA Sansibar besteht aus mehr als orientalis­ch-afrikanisc­hen Kulissen, die Szene ist jung und lebenslust­ig.
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Die schönsten Strände Sansibars liegen im Norden der Insel.

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