Mit leisen Tönen für Umverteilung
Saskia Jürgens ist die Direktkandidatin der Linken für die Bundestagswahl
AALEN - Regen prasselt auf den Aalener Spritzenhausplatz. Ein einsamer Gitarrist singt „You may say, I’m a dreamer“. Nach ihm ergreift Saskia Jürgens das Wort. Die Würde des Menschen, sagt die Bundestagskandidatin ruhig und deutlich, dürfe keinesfalls angetastet werden. Man dürfe nicht Junge gegen Alte und Bedürftige gegen Flüchtlinge aufhetzen. Die Handvoll Unentwegter, die zum Hartz-IV-Café der IG Metall gekommen ist, applaudiert. Als allerdings der prominente Wahlkampf-Unterstützer, Linke-Bundesvorsitzender Bernd Riexinger, ans Mikro tritt, ändert sich der Tonfall, wird kämpferisch.
„Wirtschaft muss für die Menschen da sein“, ruft der eingefleischte Gewerkschafter, wettert gegen die angekündigte Teilschließung des Aalener Triumph-Logistikzentrums, gegen Unternehmen, die mit der Belegschaft nach Gutdünken umspringen, gegen Hartz IV als „Armut per Gesetz“, gegen Werksverträge und Leiharbeit als „moderne Form der Sklaverei“und „unverschämt hohen“Reichtum in wenigen Händen. „Ich würde Sie wählen“, sagt er über die 28-jährige Jürgens, die ihm in lila Rock, Regenjacke und knallgrünen Gummistiefeln gegenüber steht.
Dass es mit dem Sitz im Bundestag nichts werden dürfte, ist der eher leisen Saskia Jürgens, Linke-Direktkandidatin im Wahlkreis Aalen-Heidenheim, selbst klar. Sie steht auf Listenplatz 13: Bei den Wahlen 2013 erreichte die Partei in Baden-Württemberg 4,8 Prozent und entsandte fünf Abgeordnete nach Berlin.
„Darum geht es nicht“, beteuert sie: „Ich kämpfe für das, was mir wichtig ist.“Bezahlbares Wohnen etwa. „Ich selbst wollte umziehen, finde aber nichts, was ich mir leisten kann“, sagt Jürgens, die in Schwäbisch Gmünd. geboren ist und Grundschullehramt studiert. Selbst im ländlich geprägten Bopfingen, haben ihr Teilnehmer einer Diskussion gesagt, gebe es Wohnraum nur noch für die Wohlhabenden.
Saskia Jürgens in der Fußgängerzone: „Darf ich Ihnen einen Flyer geben?“Die Passantin, um die 50, bedankt sich, faltet das Zettelchen zusammen, steckt es in die Jackentasche, geht weiter. Vielleicht wird sie später die Forderungen darauf lesen: „HartzIV-Sanktionen abschaffen“, „Mehr Geld und Personal in Pflege und Gesundheit“, „Mieten runter und sozialen Wohnungsbau fördern“. „Und wer soll das bezahlen“, wird Jürgens dann oft gefragt. Sie verweist auf das Programm ihrer Partei: die Reichen, die Erben und die Finanzspekulanten. Mit höheren Steuern für diese sollen Arbeitnehmer, die weniger als 7000 Euro im Monat verdienen, entlastet werden, Schulsozialarbeiter sollen eingestellt, verwahrloste Schultoiletten saniert, der öffentliche Personennahverkehr auf der Ostalb und anderswo soll kostenfrei werden.
„Ja, ich wähle, aber nicht sie“, bekommt sie zu hören und: „In der DDR hat man gesehen, was passiert, wenn die Linken an der Macht sind.“Nicht Kommunismus wolle sie, sagt Jürgens, sondern ganze einfach mehr soziale Gerechtigkeit. Beton-Kommunisten habe sie in ihrer Partei „noch nicht getroffen“. Und Gewalt sei schon gar kein Mittel, um politische Ziele durchzusetzen, sagt sie, angesprochen auf die Krawalle in Hamburg.
Diskussionen um Flüchtlinge und Fluchtursachen
„Ihr wollt ja alle Flüchtlinge reinlassen“, sagte ihr im Gmünder Schuhgeschäft, wo sie neben dem Studium jobbt, ein Kunde. Ja, entgegnete sie, „wir wollen eine offene Grenze“und die Dublin-Gesetze abschaffen, die arme Staaten in Südeuropa benachteilige. Allerdings dürfe man es sich „nicht so einfach machen wie die AfD“, betont die Kandidatin und rechnet vor, dass von 65 Millionen Flüchtlinge weltweit 40 Millionen Binnenflüchtlinge seien. Von diesen komme nur ein geringer Anteil nach Europa. „Und von den 800 000 Flüchtlingen, die im Jahr 2015 angekommen sind, sind 30 Prozent nicht mehr in Deutschland“, fügt sie hinzu: „Wir müssen über die Fluchtursachen reden.“Das seien vor allem die Kriege, die durch deutsche Waffenexporte angeheizt würden. Diese gelte es zu stoppen.
Vor zweieinhalb Jahren hat Jürgens, die in Aalen aufwuchs und dort zuerst eine Ausbildung zur Mediengestalterin machte, in der Gmünder Hardt-Grundschule gearbeitet. Die Schule gelte oft als Problemfall, direkt nebenan ist eine Asylunterkunft. Die Kinder hätten alle Anlagen, aber kaum Möglichkeiten, etwas aus sich zum machen. Das möchte Jürgens ändern, die ein Masterstudium in Interkulturalität und Integration plant und hofft, bald mit ihrem Freund, einem indischen Arzt, zusammenzuziehen. Menschenwürde ist das Thema, das sie umtreibt. Lesen ist ihr Hobby, Immanuel Kant und Theodor Adorno sind ihre Lieblingsschriftsteller.
Den Mann im Schuhgeschäft hat sie zum Nachdenken bewegt. „Und ich habe immer gedacht, die Linke ist eine reine Verbotspartei“, habe er ihr gesagt und versprochen, zur Wahl zu gehen. Seine Frau hat sogar ein Paar Schuhe gekauft.