Familienpolitik ist Wirtschaft
Zum Artikel „Südwesten liegt vorne beim Kita-Personal“(29.8.): Personalschlüssel sind das eine, Konstanz und Qualifikation der Erzieherinnen in der Betreuung in den Krippen, also in den Einrichtungen für Kleinkinder unter drei Jahren, das andere. Zweifellos hat sich seit der Nubbek-Studie von 2010 etwas zum Positiven verändert. Nach wie vor sind die Betreuungszeiten von Kleinkindern aber viel zu lang. Kürzere Betreuungszeiten – wie von Experten gefordert – rechnen sich für die Träger der Einrichtungen zu wenig – und auch die Wirtschaft ist dagegen. Auch mit der Konstanz der Betreuerinnen sieht es vielfach mau aus. Oftmals teilen sich stunden- oder halbtagsbeschäftigte Erzieherinnen die Betreuung ihrer Kindergruppe. Die jährlichen Abwesenheitszeiten durch Urlaub, Krankheit, Schwangerschaft, Streiks, Fortbildung werden mit 20 bis 30 Prozent angegeben. Wie soll da eine für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtige Bindung entstehen. Die ersten drei Lebensjahre sind für die Kleinkinder eben die Jahre der Bindung an möglichst nur eine Bezugsperson, meist die Mutter im familiären Umfeld.
Es wird in diesem Zusammenhang oft von „Bildung“gesprochen. Als ob es notwendig und sinnvoll wäre, zum Beispiel mit anderthalb Jahren ein Instrument zu erlernen, oder mit zwei Jahren Chinesisch. Und gruppenfähig sind Kinder erst etwa ab dem 3. Lebensjahr. In den ersten drei Bindungsjahren kommt es auf Nähe, personelle Vertrautheit, Zuwendung, liebevollen, zärtlichen und vertrauten Umgang an.
Was fehlt, ist eine wirkliche Wahlfreiheit, eine Familienpolitik, die ihren Namen verdient: Zum Beispiel drei Erziehungsjahre mit Erziehungsgeld, das den öffentlichen Zuschüssen für die Krippen entspricht, Umsetzen jahrelanger Forderungen des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum für Kinder, Neujustierung der Steuer-, Renten-, Pflege- und Krankenversicherung, gesetzliche Rückkehrgarantien für betreuende Eltern auf den angestammten Arbeitsplatz. Aber leider ist die Familienpolitik zur Unterabteilung der Wirtschaft verkommen.
Und zum Leitartikel von Katja Korf „Standortfaktor Familie“(29.8.) kann ich nur sagen: Es gibt auch andere aktuelle Umfragen zum Bedarf an Krippen- und Kindergartenplätzen. So hat das Nürnberger IAB eine Umfrage bei Müttern veröffentlicht, dass diese im Schnitt erst wieder halbtags arbeiten wollen, wenn ihr Kind dreieinhalb Jahre alt ist, einen Krippenplatz für ihr Kind erst wünschen, wenn das Kind zweieinhalb Jahre ist mit kurzen täglichen Betreuungszeiten und erst wieder eine Vollzeitstelle wollen, wenn ihr Kind sieben Jahre alt ist. Es kommt eben darauf an, wer solche Umfragen in Auftrag gibt beziehungsweise finanziert. Dr. Hans-Otto Dumke, Biberach