Land verlängert Hilfe für Jesidinnen
Traumatisierte IS-Opfer werden weiter therapiert – UN-Sonderbotschafterin Nadia Murad
STUTTGART (lsw) - Fast drei Jahre nach der Ankunft der ersten traumatisierten jesidischen Frauen in Baden-Württemberg sind die meisten der Opfer des „Islamischen Staats“(IS) noch im Land. Nur ganz wenige – nicht einmal ein Dutzend – hätten Deutschland verlassen, teilte das Staatsministerium in Stuttgart mit. Das Land verlängert das Hilfsprogramm für jesidische Folteropfer aus dem Nordirak, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem „Reutlinger General-Anzeiger“sagte. „Diese Frauen sind schwerstens traumatisiert und brauchen weiter unsere Hilfe. Und wir stellen fest, dass ihnen allein der Aufenthalt in einer geschützten Umgebung geholfen hat.“Das Programm wäre im September ausgelaufen.
Die zumeist jesidischen IS-Opfer und ihre Kinder – insgesamt 1000 Menschen – kamen auf Initiative von Kretschmann zwischen 2015 und Anfang 2016 nach Baden-Württemberg. Sie wurden über die Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen. Heute leben sie in 23 Gemeinden.
Die anfangs kalkulierten Mittel wurden dem Ministerium zufolge bei Weitem nicht ausgeschöpft. So sei mit 39 Millionen Euro nicht einmal die Hälfte der veranschlagten 80 Millionen Euro für drei Jahre verwendet worden. Grund: Viele Frauen waren noch nicht so weit, Einzeltherapien wahrzunehmen. Sie bevorzugten Gruppenangebote – und die sind günstiger. Auf die angebotenen therapeutischen Behandlungen und die Gesundheitsversorgung haben die Frauen zunächst weiter Anspruch.
Nadia Murad, die neben ihrem zerstörten Dorf auch Baden-Württemberg als ihre Heimat ansieht, will die Sklavenhalter des IS vor Gericht bringen – sieht aber große Hindernisse. „Ich will nicht Rache, sondern Gerechtigkeit“, sagt die junge Frau, die seit einem knappen Jahr den Titel der Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel trägt. Das gestalte sich sehr schwierig, obwohl immer mehr Opfer über ihr Martyrium aussagten. „Das Problem lag bislang bei der irakischen Regierung, die den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu Ermittlungen auffordern müsste.“Hayrî Demir, Experte einer jesidischen Nachrichtenplattform, sieht allerdings aktuell Bewegung, die er auf das Engagement von Murad und ihrer prominenten Mitstreiterin, der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, zurückführt. Jüngst habe die irakische Regierung einen Brief an die UN geschickt mit dem Wunsch, Ermittlungen gegen IS-Täter aufzunehmen.
Die Qual der Frauen geht weiter. Zwar habe sich die Zahl der IS-Gefangenen infolge des Machtverlustes der Terrormiliz verringert, aber es seien immer noch fast 3000, wie Murad sagt. Im Jahr 2014 waren nach Aussage von Demir noch etwa 7000 Frauen in den Händen des IS.