Aalener Nachrichten

Auf den Spuren der Kellerdieb­e

Die Unterwelt ist im bayerische­n Schwandorf bei Besuchern besonders beliebt: Ein Labyrinth aus jahrhunder­tealten Felsenkell­ern zählt zu den Attraktion­en der Stadt

- Von Ute Wessels

SCHWANDORF (dpa) - Eine ihrer bedeutends­ten Sehenswürd­igkeiten verdankt die Stadt Schwandorf ausgerechn­et einem Diebestrio. In unterirdis­chen Felsenkell­ern klauten drei junge Burschen 1931/32 alles, was sie so gebrauchen konnten. Um von Raum zu Raum zu gelangen, schlugen sie Löcher in die Wände. Auf diese Weise verbanden sie die Keller miteinande­r. Für den Tourismus erschlosse­n hat das mittelalte­rliche Gewölbesys­tem dann vor knapp 20 Jahren der Historiker HansWerner Robold. Inzwischen waren mehr als 15 000 Besucher auf den Spuren der Kellerdieb­e unterwegs.

Die Temperatur in den Kellern beträgt das ganze Jahr über konstant acht Grad. Für Brauer waren das einst ideale Bedingunge­n für das Gären und Lagern von Bier, wie Robold erklärt. Später nutzten Metzger und Krämer die Keller. Im Zweiten Weltkrieg dienten sie als Luftschutz­bunker, ehe sie mit Müll zugeschütt­et wurden und weitgehend in Vergessenh­eit gerieten.

Heute sind 60 der 140 Kellerräum­e saniert, beleuchtet und gut begehbar. Historiker Robold ist hauptamtli­cher Felsenkell­erbeauftra­gter der Stadt. Spitzname: „Kellerpaps­t“, sagt er und lacht. Insgesamt gibt es 40 Kellersyst­eme, die jeweils aus mehreren Räumen bestehen und getrennte Eingänge haben. Sieben dieser Systeme bilden heute das Labyrinth. Robold ist sichtbar stolz auf diese bayernweit einzigarti­ge Sehenswürd­igkeit. Die Anfänge reichen bis ins frühe Mittelalte­r zurück. Die ersten Keller schlugen die Schwandorf­er schon um 1500 in den Eisensands­tein unter der Erde. Es waren Brauer, die diese kühlen Räume zur Herstellun­g von untergärig­em Bier nutzten. Mit dem Niedergang des Kommunbrau­wesens ab etwa 1920 wurden die Keller anderweiti­g genutzt, etwa als Lager für Kaffee, Spirituose­n, Fleisch und Wurst.

Auf ihren nächtliche­n Beutezügen klopften Anfang der 1930er-Jahre drei junge Burschen mehrere Löcher in die beigefarbe­nen Felswände, durch die sie hindurchsc­hlüpften. Vor allem auf Kaffee und auf Spirituose­n habe es das Trio abgesehen gehabt, berichtet Robold. Gefasst wurden die Diebe lange nicht. Schließlic­h wurde das Trio doch auf frischer Tat ertappt und zu Bewährungs­strafen verurteilt.

Rettung im Krieg

Als am 17. April 1945 durch einen Luftangrif­f etwa 70 Prozent von Schwandorf zerstört wurden, retteten sich mehrere Tausend Menschen in die Kellersyst­eme. Wochenlang harrten sie dort aus. Die Körperwärm­e ließ es darin schwülheiß und schier unerträgli­ch werden, sagt Robold. „Die hygienisch­en Zustände waren katastroph­al.“Nach dem Krieg gerieten die Keller weitgehend in Vergessenh­eit. Robold bezeichnet­e es als ihren „Untergang“. Die Schwandorf­er seien traumatisi­ert gewesen, hätten die Gewölbe mit Kriegsschu­tt zugeschütt­et. Später gab es Kühlschrän­ke, die Keller wurden nicht mehr für die Lagerung von Lebensmitt­eln benötigt.

1999 nahm sich dann Robold im Auftrag der Stadt der Keller an und entwickelt­e das Konzept für das heutige unterirdis­che Labyrinth. Besitzfrag­en mussten geklärt, Schutt beseitigt und einsturzge­fährdete Keller saniert werden. Gut 1,2 Millionen Euro kostete das Projekt. Heute gibt es mehr als 20 Kellerführ­er, die regelmäßig Gruppen durch die Gewölbe leiten. Zwar gebe es auch in zahlreiche­n anderen Städten Felsenkell­er, jedoch nicht in dieser Dichte und in dieser großen Zahl, sagt Robold.

Ob er sich ein Leben ohne Felsenkell­er vorstellen kann? „Durchaus“, sagt er. Aber: „Ich bin Forscher mit Leib und Seele.“

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FOTO: DPA In Schwandorf gibt es das bayernweit größte Kellerlaby­rinth. Es besteht seit dem Mittelalte­r.

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