Aalener Nachrichten

Wettlauf ins Verderben

Die Steuerverm­eidung durch Unternehme­n bedroht den sozialen Frieden

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Nullkomman­ullnullfün­f Prozent. In Zahlen: 0,005 Prozent. So hoch war nach Ansicht der EU-Kommission der Steuersatz, mit dem der Technologi­ekonzern Apple seine Gewinne 2014 in Irland versteuert hat. Gewinne, die auch durch den iPhone-Verkauf in Deutschlan­d gespeist wurden. Lediglich 50 Euro von einer Million Euro Gewinn sind demnach an den irischen Fiskus geflossen – zur Finanzieru­ng öffentlich­er Güter wie Bildung, Gesundheit und Infrastruk­tur: kurzum, zur Finanzieru­ng des Gemeinwohl­s.

Auch wenn Apple ein Extrembeis­piel aggressive­r Steuerplan­ung von internatio­nal tätigen Großkonzer­nen sein dürfte, ein Einzelfall ist es nicht. Spätestens nach dem Bekanntwer­den der Panama Papers ist klar, dass Strategien der Steuerverm­eidung bei Unternehme­n gang und gäbe sind. Legale wie illegale, auch bei deutschen Konzernen. Steuertric­ks von Unternehme­n kosten die öffentlich­en Kassen in der EU Schätzunge­n zufolge 50 bis 70 Milliarden Euro im Jahr. Ziehen sich Firmen also peu à peu aus ihrer unternehme­rischen Sozialvera­ntwortung zurück?

Die Frage lässt sich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworte­n. Anhaltspun­kte, die diese These stützen, finden sich jedoch mehr als solche, die dieser These entgegenst­ehen. Fakt ist: Seit der Unternehme­nssteuerre­form im Jahr 2008 ist die tarifliche Steuerbela­stung für deutsche Unternehme­n kräftig gesunken. Lag sie vor 2008 noch bei durchschni­ttlich 40 Prozent und damit internatio­nal mit an der Spitze, ist sie seitdem auf rund 30 Prozent gesunken. Damit rangiert Deutschlan­d im Mittelfeld. „Die Steuerrefo­rm von 2008 hat zu einer spürbaren Entlastung der Superreich­en geführt, unter Verteilung­sgesichtsp­unkten ein Nachteil“, sagt Stefan Bach, Finanz- und Steuerexpe­rte beim Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. Denn parallel dazu ist die Steuer- und Abgabenlas­t von Arbeitsein­kommen nach Angaben der OECD auf mittlerwei­le knapp 50 Prozent gestiegen. Im internatio­nalen Vergleich werden nur belgische Durchschni­ttsverdien­er noch höher zur Kasse gebeten.

Race to the bottom

Es ist ein Phänomen, das sich in den vergangene­n beiden Dekaden nicht nur in Deutschlan­d beobachten lässt: Während die Gewinne vor allem der Großkonzer­ne immer neue Rekordmark­en markieren, sinkt der prozentual­e Anteil, der an den Fiskus abgeführt wird, stetig. Internatio­nal tätige Unternehme­n sind in der Lage, unterschie­dliche Steuerrege­lungen in verschiede­nen Ländern zu ihren Gunsten zu nutzen, um insgesamt weniger Steuern zu zahlen. Legalisier­t und befeuert werden diese Strategien durch den internatio­nalen Steuerwett­bewerb – und zwar nicht nur von allseits bekannten Steueroase­n wie den Bermuda oder Cayman Inseln. Auch Industriel­änder, die auf diese Weise Konzerne anlocken wollen, machen in diesem „Race to the bottom“– dem Rennen nach ganz unten – in der Unternehme­nsbesteuer­ung mit.

So will US-Präsident Donald Trump die Körperscha­ftsteuer, die Kapitalges­ellschafte­n zahlen müssen, von 35 auf 15 Prozent senken. Großbritan­nien hat im Zuge des Brexits einen Körperscha­ftsteuersa­tz von nur noch zehn Prozent ins Spiel gebracht. Und in Deutschlan­d wird die Abschaffun­g der Abgeltungs­teuer auf Kapitalert­räge diskutiert.

Befürworte­r niedriger Unternehme­nssteuern führen positive Wachstumsi­mpulse und damit zusätzlich­e Steuereinn­ahmen ins Feld. Eine geringe Steuerbela­stung, so die Argumentat­ion, würde die Unternehme­n ermuntern zu investiere­n. Doch empirische Belege dafür sind Mangelware. Die Höhe des Steuersatz­es ist nur ein Kriterium für Investitio­nsentschei­dungen. Die Nachfrage, die Infrastruk­tur, das Angebot an qualifizie­rten Arbeitskrä­ften und stabile politische Rahmenbedi­ngungen – das sind die wirklich wichtigen Gründe für eine Standorten­tscheidung. Da kann eine niedrige Unternehme­nssteuer sogar kontraprod­uktiv wirken, wenn über geringere Steuereinn­ahmen die Infrastruk­tur verkommt.

Besteuerun­g harmonisie­ren

Was also ist zu tun? Einer der Schlüssel liegt darin, Steuerschl­upflöcher zu stopfen und den internatio­nalen Steuerwett­lauf auszuhebel­n. Denn Staaten, die attraktive Steuerrege­ln zum Standortfa­ktor machen, untergrabe­n damit die Besteuerun­g wirtschaft­licher Aktivitäte­n andernorts.

Zwar wurden in den vergangene­n Jahren Maßnahmen gegen Steuerverm­eidung wie der Beps-Aktionspla­n der OECD gegen Gewinnverk­ürzung und -verlagerun­g durch Unternehme­n eingeleite­t. Diese kratzen jedoch nur an der Oberfläche des Problems und sind zudem rechtlich nicht bindend. „Was wir brauchen ist eine stärkere internatio­nale Koordinati­on in Steuerfrag­en und den unbedingte­n Willen, gegen Steuerverm­eidung und Steuerhint­erziehung vorzugehen“, sagt DIW-Steuerexpe­rte Bach. Nur so lässt sich das Vertrauen der Bürger in die Gerechtigk­eit des Steuersyst­ems wiederhers­tellen.

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Demonstran­ten vor der Europäisch­en Zentralba Frankfurt: In den vergangene­n Jahren sind in ve schiedenen Städten in den USA und in Europa schen auf die Straße gegangen, um gegen das Meinung nach ungerechte internatio­nale Finan Bankensyst­em zu...
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FOTO: DPA Steuerverm­eidungszen­trale: Der Apple-Hauptsitz im kalifornis­chen Cupertino.

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