Aalener Nachrichten

„Eine neue Generation der RAF wird es nicht geben“

Der frühere Außenminis­ter Klaus Kinkel über den Deutschen Herbst und die heutige Bedrohung durch Linksextre­mismus

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BERLIN - Klaus Kinkel (Foto: dpa) wurde in verschiede­nen Ämtern mit dem Terror der RAF konfrontie­rt. Im Gespräch mit Andreas Herholz berichtet der FDP-Politiker über das damalige Gefühl der Ohnmacht in der Bevölkerun­g, weshalb Kanzler Schmidt einst richtig gehandelt habe und warum es eine Ausstiegss­trategie für Terroriste­n brauchte.

Vor 40 Jahren wurde Hanns Martin Schleyer von Terroriste­n der Rote Armee Fraktion entführt und später ermordet. Es war der Auftakt zu einer Welle der Gewalt im Deutschen Herbst. Wie hat der RAFTerror das Land verändert?

Damals herrschte gerade zu Beginn des Deutschen Herbstes und der Terrorwell­e das Gefühl in der Bevölkerun­g, dass der Staat mit dieser Bedrohung nicht fertig wird. Da machte sich eine gewisse Ohnmacht breit. Das hat die Menschen ungeheuer verunsiche­rt und belastet. Die Politik war extrem gefordert. Da gab es Situatione­n, in denen die Gefahr bestand, dass die Rechtsstaa­tlichkeit nicht gewahrt wird. Man denke nur an die Zwangsernä­hrung von Gefangenen im Hungerstre­ik oder bestimmte Fahndungsm­aßnahmen und die erlassenen Ausnahmege­setze zur Terrorbekä­mpfung. Es war in Teilen grenzwerti­g, etwa, was die Haftbeding­ungen anging. Heute im Rückblick kann man aber sagen, dass es der RAF trotz der hohen Zahl an Toten, die sie zu verantwort­en hat, nicht gelungen ist, den Rechtsstaa­t zu erschütter­n. Der Rechtsstaa­t hat am Ende die Oberhand behalten.

Mit der Entführung der LufthansaM­aschine „Landshut“und dem Entführten Schleyer als Geisel sollte die Freilassun­g von RAF-Gefangenen erpresst werden. Der damalige Bundeskanz­ler Helmut Schmidt und die Bundesregi­erung haben sich darauf nicht eingelasse­n. Wie haben Sie diese harte Entscheidu­ng erlebt?

Die Entführung der „Landshut“und die Befreiung der Geiseln durch die GSG 9 in Mogadischu waren sicher ein Schlüssele­reignis, ein ganz zentraler Punkt. Der Staat hat damals deutlich gezeigt, wir lassen uns nicht von Terroriste­n erpressen. Der damalige Kanzler Helmut Schmidt hat richtig entschiede­n, auf die Forderunge­n der RAF-Terroriste­n nicht einzugehen, Schleyer nicht gegen die RAF-Gefangenen auszutausc­hen. Auch wenn es hart und tragisch war und Schleyer ermordet wurde.

Sie haben 1992 als Justizmini­ster eine Initiative gestartet, um die Gewaltspir­ale zu beenden. Von Versöhnung war die Rede. RAFTäter sollten aus der Haft entlassen werden, wenn sie ihre Strafe abgesessen hatten. Es hagelte Kritik, gab aber auch Zustimmung. Fühlen Sie sich heute bestätigt?

Ich bin mit dem RAF-Terrorismu­s in meinen verschiede­nen Ämtern konfrontie­rt worden, im Bundesinne­nministeri­um, als BND-Präsident und schließlic­h als Staatssekr­etär im Bundesjust­izminister­ium. Als Justizmini­ster habe ich 1992 vor dem Dreikönigs­treffen diese Initiative gestartet. Das war hoch umstritten. Natürlich kann man sich mit Ter- roristen nicht versöhnen. Es war aber der Versuch, aus dieser schrecklic­hen Spirale von Terror und Gewalt herauszuko­mmen. Es ging nicht um Absolution für die RAF und ihre Mitglieder. Aber Terroriste­n, die ihre Strafe verbüßt hatten, sollten genauso wie jeder andere in die Gesellscha­ft zurückkehr­en können. Der Staat musste eine Exit-Strategie aus dem Terror finden. Vor allem aus den unionsgefü­hrten Bundesländ­ern kam heftiger Widerstand. Kanzler Helmut Kohl, den ich nicht darüber unterricht­et hatte, hat getobt. Vier Monate später hat die RAF reagiert und erklärt, keine Attentate mehr begehen zu wollen. Wir hatten Glück. Das waren ein Erfolg und der Anfang vom Ende der RAF. Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker hat sich bei mir bedankt. Er hat später auch Begnadigun­gen ausgesproc­hen.

Bis heute sind RAF-Verbrechen nicht aufgeklärt, ist nicht klar, wer etwa die Täter beim Attentat auf den früheren Generalbun­desanwalt Siegfried Buback waren. Wird das Schweigen noch gebrochen werden?

Dieses Schweigen ist enttäusche­nd und macht ohnmächtig. Ich hätte mir gewünscht, dass einige ihr Schweigen brechen werden. Aber darauf werden wir wohl vergeblich warten.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) beklagt einen wachsenden Linksextre­mismus. Wie groß ist die Gefahr eines neuen Links-Terrorismu­s?

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Eine neue Generation der RAF wird es nicht geben. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine solche Bewegung.

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