Auf der Suche nach Grenzerfahrungen
Der Regisseur mit einem Faible für Extreme: Werner Herzog wird 75 Jahre alt
FRANKFURT (epd) - Er hat Höhlen erforscht, den peruanischen Dschungel durchkämpft, texanische Todeskandidaten porträtiert und ist in der Zusammenarbeit mit Klaus Kinski in Filmen wie „Fitzcarraldo“an die Grenzen des Erträglichen gegangen: Den Regisseur Werner Herzog interessieren Menschen in Ausnahmesituationen. Heute wird der gebürtige Münchner 75 Jahre alt.
Waren seine getriebenen Helden früher allesamt Männer, so hat er in seinen letzten beiden Filmen eine Vorliebe für blonde Frauen entdeckt – in der Weite archaischer Landschaften. In „Salt And Fire“(2016) spielt Veronica Ferres eine Wissenschaftlerin, die in Bolivien einer Umweltkatastrophe auf der Spur ist. In „Queen of the Desert“begeisterte sich Nicole Kidman als britische Forschungsreisende Gertrude Bell für Arabien und die Wüste. Ein bisschen „Lawrence von Arabien auf Sparflamme“, wie die Kritik meinte, die auch „Salt and Fire“gnadenlos verrissen hatte.
Das gewissen Etwas
Und dennoch: Wer wollte, konnte auch in diesen beiden Filmen den gewissen Herzog-Touch erkennen, die Suche nach der Magie und der Mystik der Orte und Menschen, eine der Konstanten in seinem Werk, vor allem in seinen Dokumentarfilmen.
Man spürt sie etwa in der Doku „Die Höhle der vergessenen Träume“aus dem Jahr 2011. Da filmte Herzog mit einer kleinen 3-D-Kamera die Zeichnungen, die Menschen in der Höhle von Chauvet in Südfrankreich vor 35 000 Jahren gemacht haben. Mehr als 400 Zeichnungen sind erhalten, und besonders haben es Herzog die Tierbilder angetan, die wie in Bewegung festgehalten sind. „Urkino“, sagt er selbst im Film.
Aber Herzog interessieren in diesem Film nicht nur die ältesten erhaltenen Zeichnungen der Menschheit. Ihn faszinieren, die Träume und Gefühle, die in diesen Bildern stecken, die tiefere Wahrheit, die sie zeigen.
Im Umfeld des eher verkopften Autorenfilms der 60er- bis 80er-Jahre war Herzog der Bild-Visionär. In seinem Epos „Aguirre, der Zorn Gottes“(1972) folgt er dem Konquistador Lope de Aguirre durch den Urwald Perus auf seiner Expedition, die mit Wahnsinn und Tod endet. Zu Beginn kämpft sich ein Tross von Soldaten, Sklaven, Frauen in Sänften und Geistlichen zu der sphärischen Musik der Band Popol Vuh durch die Berge einer nebligen, unwirtlichen Landschaft. Diese Eröffnungssequenz gehört zu den ganz großen Momenten der deutschen Filmgeschichte der letzten Jahrzehnte.
Herzog haben immer Menschen mit Grenzerfahrungen interessiert. Schon sein erster Langfilm „Lebenszeichen“(1968), in dem eine Handvoll deutscher Soldaten ein Munitionsdepot auf der Insel Kos verteidigen soll, war kein „normaler“Kriegsfilm. Er war eine existenzialistische Studie, in der die Hauptfigur, ein Soldat, verrückt wird.
Und nach solchen Verrückten hat Herzog in den mehr als fünf Jahrzehnten seines Schaffens auch immer gesucht. Nach Menschen, die mit ihrem Leben gegen eine im Grunde verrückte Welt anstehen – sei es der als großes Kind in die Welt geworfene Kaspar Hauser in „Jeder für sich und Gott gegen alle“(1974) oder der von Nicolas Cage verkörperte Polizist in seinem Remake „Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen“(2009), der in einem Sumpf aus Drogen und Verbrechen watet.
Die Hauptrolle in „Aguirre“spielte ein anderer Kino-Verrückter, Klaus Kinski. Fünf Filme hat Herzog mit dem exzentrischen Schauspieler gedreht. Neben dem Konquistadoren-Epos waren das „Nosferatu“(1979), „Woyzeck“(1979), „Fitzcarraldo“ (1982) und „Cobra Verde“(1987) – in einer legendären Schauspieler/Regisseur-Relation, die selbst so etwas wie eine sadomasochistische Grenzerfahrung war. Herzog selbst hat sie 1999 in dem Film „Mein liebster Feind“dokumentiert.
Der schönste Film dieser Zusammenarbeit ist sicherlich „Fitzcarraldo“, in dem ein Exzentriker ein Opernhaus im Dschungel bauen möchte. Herzog ließ für diesen Film ein echtes Boot im echten Dschungel über einen echten Berg ziehen – was damals zu Protesten von Ureinwohner-Hilfsgruppen führte. Aber auch das gehört zum Werk von Werner Herzog: dass er Filmemachen als ein physisches Abenteuer versteht.
Magische Bilder
In den vergangenen Jahrzehnten hat Herzog, der mit seiner dritten Frau in Los Angeles lebt, mehr Dokumentarals Spielfilme realisiert: über den Bärenforscher Timothy Treadwell, der selbst von einem Bären getötet wurde („Grizzly Man“, 2005), oder fünf Todeskandidaten in texanischen Gefängnissen („Death Row“2012).
Oder jüngst über das Internet. Er unterscheide nicht zwischen Realität und Fiktion, hat Herzog einmal gesagt. Und in seinem wundersamen Film „The Wild Blue Yonder“(2005) gehen beide Richtungen auch ineinander. In der Geschichte eines Außerirdischen, der die Erde erforschen will, hat Herzog unveröffentlichtes Nasa-Material und Unterwasseraufnahmen integriert. Diese magisch zu nennen wäre eigentlich untertrieben.