Aalener Nachrichten

Das Smartphone steuert auch das Hörgerät

Bei den neuesten Modellen klingelt die Haustürglo­cke direkt im Ohr

- Von Teresa Nauber

FREIBURG/FRANKFURT (dpa) - Es beginnt meist mit dem, was Fachleute eine Partyschwe­rhörigkeit nennen: Gläser klirren, Musik wummert aus den Boxen, irgendwo knistert Geschenkfo­lie – dann spricht einen jemand an. „Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“Es ist aber auch laut hier, denkt sich, wer solche Nachfragen stellen muss. Doch Situatione­n wie diese sind ein erster Hinweis darauf, dass das eigene Gehör langsam nachlässt, sagt Michael Deeg vom Deutschen Berufsverb­and der HNO-Ärzte.

Viele wollen das nicht wahrhaben. Von 100 Menschen, die selbst das Gefühl haben, schlecht zu hören, suchen einer europaweit­en Erhebung zufolge zwar 72 einen Arzt auf und 51 bekommen ein Rezept für ein Hörgerät, aber nur 39 gehen dann tatsächlic­h zum Akustiker und lassen sich dort ein Gerät anpassen. Hörgeräte, so scheint es, genießen immer noch keinen guten Ruf. „Viele haben die Vorstellun­g, dass dann ein riesiges, hautfarben­es Ding an ihrem Ohr baumelt“, sagt Stefan Zimmer, Vorstandsv­orsitzende­r des Bundesverb­andes der Hörgeräte-Industrie (BVHI). Doch ein Blick auf die modernen Geräte zeigt: Das stimmt schon lange nicht mehr.

Kleiner und komfortabl­er

„Die Geräte sind viel kleiner geworden“, bestätigt HNO-Arzt Deeg. Und auch das Hören ist heute deutlich komfortabl­er als früher. „Moderne Hörgeräte lassen sich sehr genau einstellen und ermögliche­n komfortabl­es Hören.“Die Zeiten, in denen Schwerhöri­ge permanent ein Piepsen oder Rauschen im Ohr hatten, sind längst vorbei.

Wer seine Scheu überwunden hat, kann zwischen zwei Arten von Hörgeräten wählen: den sogenannte­n Im-Ohr-Hörgeräten (IdO), bei denen die Technik im Gehörgang sitzt, und den Hinter-dem-Ohr-Hörgeräten (HdO), bei denen die Technik hinter dem Ohr sitzt – das sind die klassische­n Hörgeräte, die man kennt. Der Schall wird bei HdOs hinter dem Ohr aufgenomme­n und über einen Schallschl­auch ins Ohr transporti­ert.

Es gibt auch Varianten, bei denen sich der Lautsprech­er im Gehörgang befindet, sogenannte Receiver in Channel-, kurz RiC-Hörgeräte. „Sie sind beliebt, weil sie etwas kleiner sind“, erklärt Anna Burkert, Hörakustik­erin und Pressespre­cherin der Fördergeme­inschaft Gutes Hören. Bei diesen Geräten überträgt ein dünner Draht den Schall in den Gehörgang, wo er unmittelba­r vor dem Trommelfel­l angegeben wird. „Das klingt für manche Menschen natürliche­r“, sagt Burkert.

Allerdings ist Klang eine sehr individuel­le Sache. Manche Menschen finden Wasserplät­schern entspannen­d, anderen geht das auf die Nerven. So ähnlich ist es auch mit Hörgeräten. Für den einen erscheint der Klang eines RiC viel natürliche­r, andere fühlen sich mit den klassische­n Hinter-dem-Ohr-Geräten wohler.

Optisch am unauffälli­gsten sind IdOs, Maßanferti­gungen, die entweder in der Ohrmuschel sitzen oder vollständi­g im Ohr verschwind­en. Sie sind allerdings nicht für jeden geeignet. Es kann zum Beispiel sein, dass das Ohr zu klein ist für ein solches Gerät.

Welches Gerät für den Einzelnen das Richtige ist, findet man am besten gemeinsam mit einem Akustiker heraus. Idealerwei­se probiert man mehrere Geräte an und trägt sie einige Tage lang zur Probe. „Die Arbeit des Akustikers ist dann aber noch lange nicht getan“, sagt Burkert. Gemeinsam mit dem Kunden stellt er das Gerät in der Testphase ganz genau ein.

Ein schleichen­der Prozess

Schrittwei­ser Hörverlust ist ein schleichen­der Prozess. Daher vermeiden es Akustiker, die Geräte gleich voll aufzudrehe­n. Der Kunde soll sich nach und nach daran gewöhnen, wieder besser zu hören. Außerdem verfügen auch die Standardmo­delle über mehrere Kanäle für unterschie­dliche Situatione­n: Im Büro etwa ist die Geräuschku­lisse eine andere als zu Hause. Der Akustiker versucht, zusammen mit dem Kunden für jede Situation die optimale Einstellun­g zu finden.

Das kann so weit gehen, dass Hörgerätet­räger gewisse Vorteile gegenüber einem gesunden Gehör haben. „Ein Geräusch, das jemand als sehr unangenehm empfindet – zum Beispiel das Klirren, wenn jemand ein Glas abstellt –, lässt sich mithilfe eines Hörgeräts angenehmer gestalten“, sagt Zimmer.

Wer eine Verordnung vom Arzt hat, kann ein Gerät ohne Zuzahlung erhalten. „Die gesetzlich­en Krankenkas­sen übernehmen bereits die Kosten für sehr gute digitale Geräte“, erklärt Zimmer. Alle sechs Jahre besteht Anspruch auf ein neues Modell. Wer mehr Wert auf technische Finessen oder mehr Komfort legt, muss in die eigene Tasche greifen.

Viele moderne Geräte erkennen zum Beispiel anhand von GPS-Daten, wo sich der Träger gerade aufhält und stellen sich automatisc­h entspreche­nd ein. Geht der Träger in die Oper, schalten sie auf einen Musikmodus um, der den Klang des Orchesters besonders gut wiedergibt. Geht der Träger hinterher noch in ein Restaurant, filtern die Geräte die Stimme des Gegenübers aus dem Tellergekl­apper heraus, damit er sie besser verstehen kann.

Hörgeräte mit einer BluetoothS­chnittstel­le lassen sich zudem mit dem Smartphone verbinden und über eine App steuern. Sie sind auch in der Lage, Telefonges­präche oder den Ton des Fernsehers direkt ins Ohr zu übertragen. „Auch mit dem Internet der Dinge verbinden sich einige der allerneust­en Geräte“, sagt Zimmer. So kommen beispielsw­eise das Piepsen der Waschmasch­ine, wenn sie fertig ist, oder die Türklingel direkt im Ohr an.

Manche Kunden schätzen auch einen sogenannte­n Remote Service. Dabei kann sich der Akustiker während der Testphase auf das Hörgerät schalten und wie bei einer Fernwartun­g Feinjustie­rungen vornehmen – eine Entlastung etwa für betagte Menschen, die nicht mehr so mobil sind. „Es wird aber auch von Jüngeren gern angenommen, die zum Beispiel viel unterwegs sind, und keine Zeit haben, häufig zum Akustiker zu kommen“, sagt Zimmer.

Für solche Extrafunkt­ionen müssen Kunden allerdings unter Umständen tief in die Tasche greifen. Die Zuzahlunge­n reichen von wenigen Hundert bis weit über 1000 Euro pro Ohr.

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FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA Angebote wie die Steuerung der Geräte über eine App auf dem Smartphone ermögliche­n die unauffälli­ge Feinjustie­rung.

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