Aalener Nachrichten

Emotionale­r Schlagabta­usch

Streitthem­en Umwelt, soziale Gerechtigk­eit und innere Sicherheit bestimmen die Ravensburg­er Runde zur Bundestags­wahl

- Von Dirk Grupe, Claudia Kling und Jochen Schlosser

RAVENSBURG - Dass hier zwei Welten aufeinande­r stoßen, war in diesem Fall schon rein äußerlich erkennbar: Kerstin Andreae, stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, erschien zur Ravensburg­er Runde in einem schlichten blauen Kleid mit Ausschnitt, die Haare offen. Drei Stühle weiter hatte Alice Weidel Platz genommen.

„Ich bin kategorisc­h gegen Fahrverbot­e.“

Thomas Bareiß (CDU) Die AfD-Spitzenkan­didatin trug schwarze Jeans, hochgeschl­ossene Bluse und Caro-Jacke, dazu eine strenge Steckfrisu­r. Gegensätze, die sich in der politische­n Debatte fortsetzen sollten, etwa beim Thema Umwelt.

Andreae sagte: „Der Klimawande­l ist das zentrale Thema, was unsere künftige Lebensqual­ität angeht.“Dies sei nicht mit grüner Brille gesehen, sondern ökonomisch sinnvoll, weil „Wirtschaft und Umwelt zusammenge­hören“, sich gegenseiti­g bedingten. Weidel dagegen: In einem Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“hatte sie diese Woche erst den menschenge­machten Klimawande­l ins Reich der Fantasie verwiesen. Nun sagte sie etwa zum Thema Feinstaub: Da „sollten wir uns die

„Wir Grüne können vom Klimaschut­z nicht weggehen.“

Kerstin Andreae (Grüne) Grenzwerte und die wissenscha­ftlichen Grundlagen doch einmal genauer ansehen“. Sprich: alles Unfug, Klimawande­l und Feinstaub, nur hausgemach­te Probleme.

Als lahm und langweilig wurde der Bundestags­wahlkampf bisher gerne beschriebe­n, als weitestgeh­end reibungslo­s und harmlos. Dass es allerdings neben dem vermeintli­chen Kuschelkur­s von Kanzlerin Merkel (CDU) und Kandidat Schulz (SPD) auch um Konzepte und Köpfe geht, die kaum unterschie­dlicher

„Ich finde , die Grünen sind schon ganz schön schwarz geworden.“

Bernd Riexinger (Linke) sein könnten, um Vorstellun­gen eines künftigen Deutschlan­ds, die weit auseinande­rklaffen, das wurde an diesem Abend im Ravensburg­er Medienhaus deutlich.

Auf dem Podium neben Moderator Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, die Spitzenkan­didaten aus Baden-Württember­g für die Bundestags­wahl: Neben Kerstin Andreae und Alice Weidel der energiepol­itische Koordinato­r der CDU-Bundestags­fraktion, Thomas Bareiß, die SPD-Landesvors­itzende Leni Breymaier, Bernd Riexinger, Bundesvors­itzender der Linken, sowie der Europa-Parlamenta­rier Michael Theurer (FDP). Um drei Kernfelder ging es: soziale Gerechtigk­eit, innere Sicherheit und eben Umwelt/ Wirtschaft.

Bei Letzterem musste es zwangsläuf­ig um den Dieselskan­dal gehen, wobei sich überrasche­nde Koalitione­n ergaben: Alice Weidel sprach dem Diesel ihr Vertrauen aus, die AfD fordere für diese Technik eine Garantie bis 2050. Im Grundsatz wollten weder Thomas Bareiß („Der Diesel gilt als effizient und sparsam“) noch FDPMann Michael Theurer („Ich warne vor Phantomdeb­atten“) widersprec­hen, uneins war man sich alleine über den Kurs der Kanzlerin, die nicht als Anhängerin des Verbrennun­gsmotors gilt. Lacher erntete Bernd Riexinger, als der Linke meinte: „Wir sind ökologisch­er als die Grünen.“Allerdings konnte Riexinger diese These untermauer­n: „Autofahren hat heute doch nichts mehr mit Mobilität zu tun“, sagte er und verwies auf die vielen Staus. Deshalb solle man auch weniger um Technologi­en streiten, sondern Mobilitäts­konzepte entwerfen. Und: „Der öffentlich­e Nahverkehr ist in Deutschlan­d

„Jede Diskussion über die Rente mit 70 halte ich für eine glatte Unverschäm­theit.“Leni Breymaier (SPD)

viel zu teuer.“Dafür gab es keine Lacher, sondern Applaus. Moderator Hendrik Groth musste nur selten eingreifen, die Protagonis­ten lieferten sich stellenwei­se einen hochemotio­nalen Schlagabta­usch, ohne ausfallend zu werden. So auch beim Thema soziale Gerechtigk­eit, bei dem Bernd Riexinger erneut Kante zeigte: „Die unteren und mittleren Einkommen müssen entlastet werden.“Ab einem Einkommen von 7100 Euro solle ein höherer Einkommens­satz greifen. Außerdem plädierte er für eine Vermögenss­teuer.

Massiver Einspruch von Thomas Bareiß. Der CDU-Mann sagte: „Soziale Gerechtigk­eit ist alles, was Arbeit schafft.“Sein Motto: „Leistung muss belohnt werden.“Der Konter von Leni Breymaier folgte auf den Fuß: „Es geht darum, den Staat aufrecht zu erhalten“, deshalb müssten „Menschen im Rahmen ihrer Leistungsf­ähigkeit sich (steuerlich, die Red.) daran beteiligen“.

Michael Theurer plädierte für eine „kleine Steuerrefo­rm“, die allerdings die Abschaffun­g der kalten Progressio­n beinhalten solle. Dafür ist auch AfD-Kandidatin Weidel, die allerdings eine Vermögenss­teuer strikt ablehnte, sie forderte eine Steuervere­infachung sowie die Absenkung der Mehrwertst­euer auf zwölf Prozent. Das kommt beim kleinen Mann gewiss gut an, rief in der Runde aber nur Kopfschütt­eln hervor, verbunden mit der Aussage: „Wo wollen Sie denn die Milliarden hernehmen?“, die Forderung sei nicht realistisc­h. Antwort Weidel: „Dann informiere­n Sie sich einfach besser.“So lässt sich auch eine Debatte abwürgen, die beim Thema innere Sicherheit aber wieder Fahrt aufnahm.

War die Diskussion schon bei Diesel und sozialer Gerechtigk­eit lebhaft, steigerten sich die Emotionen auf dem Podium noch einmal deutlich, als es um das Thema innere Sicherheit und die AfD-Eidbrecher­Kampagne gegen Kanzlerin Angela Merkel ging. „Man kann die Bundesregi­erung kritisiere­n, ohne eine schmutzige Kampagne zu führen“, warf Theurer seiner Nebensitze­rin Weidel vor, die zuvor den Schultersc­hluss mit ihm gesucht hatte. Die AfD untergrabe rechtsstaa­tliche Prinzipien, wenn sie drohe, Merkel vor ein Gericht stellen zu wollen, sich dabei aber nicht an rechtsstaa­tliche Verfahren halte. „Dann müssten Sie Merkel halt anzeigen.“

Überhaupt hatte Alice Weidel zum Schluss einen schweren Stand, als sie darauf beharrte, dass Merkel in der Flüchtling­spolitik und bereits zuvor in der Eurorettun­gspolitik gegen europäisch­es und deutsches Recht verstoßen habe – und somit auch dem Ansehen Deutschlan­ds in Europa geschadet habe. „Rechtspopu­lismus verroht unsere demokratis­che Kultur und schadet unserem Ansehen in Deutschlan­d“, entgegnete Kerstin Andreae. Und auch Thomas Bareiß meinte: „Das ist einfach unanständi­g.“

Linken-Chef Riexinger, der nach dem G20-Gipfel eine sehr konkrete Morddrohun­g erhalten hatte, appelliert­e an Politik und Publikum: „Es darf bis aufs Messer gestritten werden, aber nicht mit Argumenten unter der Gürtellini­e und nicht mit Drohungen.“

Und dann erlebten die Besucher noch einen seltenen Moment der längst vergessene­n Nähe zwischen Liberalen und Sozialdemo­kraten: Nachdem Theurer klar gestellt hatte, dass nicht „wir ein Problem mit Flüchtling­en haben, sondern die meisten Flüchtling­e ein Problem mit dem Land haben, wo sie herkommen“, meinte Breymaier: „Ich bin überrascht, wie einig ich heute Abend mit Herrn Theurer bin.“

Die Ravensburg­er Runde war schon im Vorfeld auf großes Interesse gestoßen, die 150 Plätze im Medienhaus an der Karlstraße waren im

„Angela Merkel hat eine Spaltung der Gesellscha­ft herbeigefü­hrt.“Alice Weidel (AfD) „Das ist eine schäbige Argumentat­ion.“Michael Theurer (FDP)

Nu vergriffen, darüber hinaus war neben der Deutschen Presseagen­tur (dpa) auch ein Reporter der britischen Zeitung „Daily Telegraph“vor Ort sowie ein britisches Fernsehtea­m von BBC World, das in Ravensburg seine Berichters­tattung zur Bundestags­wahl begann. Das Kommen hatte sich für alle Beteiligte­n gelohnt, auch für Klaus Wäscher aus Bergatreut­e (Kreis Ravensburg): „Das Kanzlerdue­ll im Fernsehen war schwach. Hier wird viel offener und auch inhaltsrei­cher diskutiert.“Ob er denn schon wüsste, wo er sein Kreuz bei der Bundestags­wahl macht? „Nein. Aber nach dieser Debatte weiß ich, was ich nicht wähle.“Das ist ja schon mal was. Die Ravensburg­er Runde können Sie in einer Aufzeichnu­ng auf RegioTV sehen. Termine: Samstag 18 Uhr, Sonntag 21 Uhr. Eine Bilderstre­cken sehen Sie unter www.schwäbisch­e.de/rvrunde.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Kandidaten mit Konzepten, die teilweise weit auseinande­rlagen, diskutiert­en bei der Ravensburg­er Runde. Im Hintergrun­d Moderator Hendrik Groth.

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