Aalener Nachrichten

Schicksals­tag für Air Berlin

Heute endet die Bieterfris­t – Bangen bei Beschäftig­ten – Entscheidu­ng am 25. September

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BERLIN/FRANKFURT (dpa) - „Hat Air Berlin noch eine Zukunft?“Es ist die große Frage, die sich nicht nur Passagiere stellen. Air Berlin stellt sie selbst, auf ihrer Webseite. Antwort: Verkaufsve­rhandlunge­n Erfolg verspreche­nd, können „zeitnah finalisier­t“werden und so weiter. Den Text lesen Kunden seit Tagen, unveränder­t. Doch die jüngste Kampfansag­e der Piloten zeigt: Ein reibungslo­ser Verkauf ist alles andere als sicher. Und an diesem Freitag endet die Bieterfris­t.

Wer will Air Berlin kaufen?

Es gibt eine Reihe von Interessen­ten für die Airline, die seit Jahren rote Zahlen schreibt, aber begehrte Startund Landrechte hält. Die meisten haben sich erst nach dem Insolvenza­ntrag vor vier Wochen gemeldet. Vorstandsc­hef Thomas Winkelmann hatte jedoch schon im Frühjahr die Partnersuc­he ausgerufen, mindestens seitdem gibt es Gespräche mit der Lufthansa. Der deutsche Marktführe­r könnte rund 90 der 144 Flugzeuge übernehmen, hieß es zwischenze­itlich. Verhandelt wird laut Air Berlin mit drei weiteren Airlines. Beobachter nennen unter anderem Easyjet. Condor zieht gemeinsam mit Niki Lauda ins Rennen, den ExFormel-1-Star. Er ist Gründer und war lange Eigentümer der Air-Berlin-Tochter Niki. Lauda und Condor wollen nach Medienberi­chten für 38 Maschinen der Air Berlin und Niki ein Angebot abgeben. Lauda bezifferte das Angebot auf 100 Millionen Euro. Interesse angemeldet haben auch der Nürnberger Unternehme­r Hans Rudolf Wöhrl und der frühere EnBW-Chef Utz Claassen. Aus Berlin hoben eine Spedition und ein Hotelier die Hand. Als letzter brachte sich der chinesisch­e Betreiber des Flugplatze­s Parchim ins Gespräch.

Welche Teile wollen die Investoren?

Etwa die nicht insolvente Tochter Niki, für die Lufthansa schon ein konkretes Angebot abgegeben hat. Die Lufthansa-Tochter Eurowings sucht bereits Piloten, Co-Piloten sowie Flugbeglei­ter für zusätzlich­e Flugzeuge. Auch an Langstreck­enflugzeug­en hat Lufthansa Interesse. 14 ältere Boeing-Jets, die Air Berlin zu hohen Kosten von Tuifly gemietet hat, könnten an den Touristikf­lieger des Tui-Konzerns zurückfall­en. Auch ältere Propellerm­aschinen der Air-Berlin-Tochter LGW stoßen angeblich auf wenig Interesse.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

„Der Plan ist, am 25. September die endgültige Entscheidu­ng zu treffen“, sagte Air-Berlin-Sprecher Ralf Kunkel am Donnerstag. Kurz zuvor hatte der Chef des Unternehme­ns, Thomas Winkelmann, noch in einem Brief an die Piloten betont: „Wir streben Lösungen im Gläubigera­usschuss am 21. September an.“Sicher ist: Der Verkauf soll schnell unter Dach und Fach, denn mit der Insolvenz gingen die Buchungen zurück. Zwar gibt es einen 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes, der bis Ende November reichen soll. Doch das ist die Annahme von vor vier Wochen, eine aktualisie­rte Prognose gibt es nicht. Nach den zahlreiche­n Flugausfäl­len wegen einer Krankheits­welle der Piloten in dieser Woche dürften noch weniger Menschen der Airline vertrauen. Damit fallen Einnahmen weg und der Weg zu den Teilverkäu­fen wird steiniger.

Was wollen die Gewerkscha­ften bei Air Berlin erreichen?

Bislang scheint es sehr wahrschein­lich, dass ein großer Teil des fliegenden Personals bei neuen Arbeitgebe­rn unterkomme­n kann. Umstritten sind indes die genaue Vorgehensw­eise und erst recht die künftigen Bedingunge­n. Einige Berufsgrup­pen fürchten Einkommens­verluste von bis zu 50 Prozent. Verdi und die Vereinigun­g Cockpit wollen verhindern, dass sich jeder beim neuen Arbeitgebe­r bewerben muss. Teure, alte oder aufmüpfige Kräfte, so ihre Furcht, könnten aussortier­t werden. „Jeder über 50 macht sich Sorgen“, sagt ein Air-Berlin-Pilot. Daher wollen sie die Personalau­swahl lieber kollektiv regeln – mit einem Sozialplan.

Werden sich die Fluggesell­schaften darauf einlassen?

Das scheint unwahrsche­inlich, denn einen Betriebsüb­ergang mit gesetzlich vorgeschri­ebenem Sozialplan wollen nahezu alle Bewerber vermeiden. Sie wollen aus der Insolvenzm­asse eigentlich nur die Flugzeuge zu verbessert­en Leasing-Konditione­n übernehmen und dafür dann auf dem freien Markt Personal anheuern. Die Gewerkscha­ften kritisiere­n, die potenziell­en Käufer interessie­rten sich nur für das Blech, nicht für die Leute. Mehr als 8000 Air-Berlin-Beschäftig­te bangen. „Angst und Wut der Air Berliner eskalieren, weil es hier um Existenzen ganzer Familien geht“, sagt VerdiVorst­andsmitgli­ed Christine Behle. Lufthansa-Konzernche­f Carsten Spohr hat den Air-Berlinern zwar versproche­n, ihre Berufserfa­hrung zu berücksich­tigen, ansonsten aber den Tarifvertr­ag der Billigtoch­ter Eurowings anzuwenden.

Steckt hinter der Krankheits­welle ein illegaler Streik?

Einiges spricht dafür, dass die zahlreiche­n Flugausfäl­le eine gezielte Aktion der Piloten waren. Der Tarifexper­te Hagen Lesch vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft ist davon überzeugt. Ähnliches hat es vor einem Jahr beim Ferienflie­ger Tuifly gegeben, der in einer Gemeinscha­ftsfirma mit Etihad und Niki aufgehen sollte. Tuifly gab damals klein bei. Am Donnerstag normalisie­rte sich der Betrieb bei Air Berlin wieder.

Hat das keine Folgen für die Beteiligte­n?

Zu beweisen ist ein Streik mithilfe von Krankenzet­teln nur sehr schwer, sofern nicht ein schriftlic­her Aufruf entdeckt wird, der „rauchende Colt“. Schließlic­h billigen Arbeitsger­ichte ärztlichen Attesten regelmäßig eine hohe Beweiskraf­t zu. Und welcher Arzt mag schon einen Piloten flugfähig schreiben, der ihm gegenüber Unwohlsein äußert?

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FOTO: DPA Flugzeuge von Air Berlin am Berlin Brandenbur­g Airport Willy Brandt. Heute endet die Frist für Angebote für die insolvente Fluglinie.

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