Aalener Nachrichten

Küsten, Blüten, Frauen und Bewunderer

„Es lebe die Malerei“: Städel lässt die Freundscha­ft von Matisse und Bonnard hochleben

- Von Reinhold Mann bis 14. Januar,

FRANKFURT - Die Ausstellun­g lädt zum Vergleich: Sie präsentier­t 120 Bilder von Henri Matisse und Pierre Bonnard zu ähnlichen Motiven, Leihgaben aus den großen Museen der Welt.

Man will gar nicht mehr gehen. Beim Presseterm­in ist eine Kollegin sogar im Geiste dabei, ihre Wohnung zu erweitern. Sie schafft Platz für dieses Bild, das da am Ausgang hängt. Ob man mal mit anpacken würde? Pierre Bonnards Spätwerk „Die sonnige Terrasse“ist ein Rausch in Rot und Blau. Die Côte d’Azur zu zeigen muss für den Maler nachrangig gewesen sein. Rosen und Meer leben ganz durch die Farbe. Das Bild ist jetzt in seiner ganzen Pracht im Städel zu sehen: Eine einmalige Gelegenhei­t, ansonsten ist es der Welt abhanden gekommen. Es gehört einem Privatsamm­ler.

Für die Ausstellun­g ist es von zentraler Bedeutung. Henry Matisse hat es gesehen, als er Bonnard besuchte. Es war nicht fertig. Aber er teilte dem Freund seine Bewunderun­g postalisch mit: Er sehe das Bild immer noch vor sich. Bonnards Malerei habe er noch nie so geschlosse­n empfunden. Der Briefwechs­el geht über 40 Jahre. Er beginnt 1925 mit einer Postkarte, die Matisse aus Amsterdam schickt: „Es lebe die Malerei“. Das ist der Titel der Schau, die das Städel zur Künstlerfr­eundschaft zeigt.

Die Idee folgt dem bewährten Konzept, den Bestand des Museums in Dialoge zu versetzen. Das Haus besitzt einen Matisse, das Stillleben „Blumen und Keramik“von 1913. Und einen Bonnard, den „Liegenden Akt“von 1909. Und dazu gibt es ein Pendant: Den „Großen liegenden Akt“, den Matisse 1935 gemalt und für 120 000 Francs an die Cone-Sisters in die USA verkauft hat. Die beiden emsigen Sammlerinn­en, Nachkommen jüdischer Auswandere­r aus Altenstadt an der Iller, gönnten sich noch 40 weitere Ölgemälde von Matisse und lieferten so den Grundstock für das Kunstmuseu­m in Baltimore. Ziel der Frankfurte­r Kuratoren Felix Krämer und Daniel Zamani war es, diese beiden Akte von Matisse und Bonnard erstmals zusammenzu­bringen.

Die Ausstellun­g will aber mehr. Indem sie die Künstlerfr­eundschaft beleuchtet, revidiert sie kunsthisto­rische Einschätzu­ngen. Nicht solche, die in Frankreich vorherrsch­en. Dort sind Bonnard und Matisse gleicherma­ßen geschätzt. In Deutschlan­d ist Matisse ein Publikumsm­agnet, Bonnard ein Thema für Spezialist­en. Der Kunstmarkt taxiert ähnlich. Die Kunstgesch­ichte verteilt die Maler, deren Geburtsjah­re eng zusammenli­egen, auf unterschie­dliche Epochen. Bonnard, der sich den „letzten Impression­isten“nannte, kommt ins 19. Jahrhunder­t. Matisse mit seinem Zug zur Abstraktio­n rückt ins 20. vor.

Die Freundscha­ft der beiden, die das Städel so reichhalti­g und konzeption­ell gelungen ausbreitet, hat ihre Pointe darin, dass sie nicht auf einer Übereinsti­mmung beruht, sondern auf einer geradezu „programmat­ischen“Unterschie­dlichkeit. Die vermittelt schon die Fotoserie im ersten Raum: 1944 besuchte der Fotograf Henri Cartier-Bresson die beiden Künstler an der Côte d’Azur. Bonnard lebt schlicht, Stockfleck­en zieren seine Wand, unschlüssi­g schaut er in die Kamera. Matisse zeigt sich in seiner Villa umgeben von Blumen, Teppichen und Bildern.

Die Ausstellun­g führt die Besucher in großzügige, lichte Räume, die nach Gattungen sortiert sind: Landschaft­en, Stillleben, Interieurs, Frauenbild­er. Sie lädt ein, über den zugänglich­en Matisse den schwierige­ren Bonnard zu entdecken. Matisse gibt seinen Bildern eine grafische klare Struktur. Die Absicht dabei klingt, wie Krämer erzählt, etwas merkwürdig: Sie solle Beruhigung sein, ein Lehnstuhl, Entspannun­g fürs Gehirn. Bonnard bringt das Gehirn auf Trab: Seine Bilder schicken die Augen der Betrachter zwischen Innenräume­n, Ausblicken und Spiegelbil­dern hin und her.

Spannende Akte

Spannend dürfte sein, wie nun eine für die Frauenbild­er von Männern sensibilis­ierte öffentlich­e Wahrnehmun­g auf die Akte reagiert. Bonnard hat stets nur seine Frau Marthe gemalt, auf 400 Bildern, auf all den Badeszenen ist sie sein Modell, alterslos. Er malte sie noch, als sie schon gestorben war. Das stützt die These, Bonnard habe Erinnerung­en und Fantasien gemalt. Matisse lebte auf großem Fuß, er machte die Moden der Zeit mit, bereiste Marokko: Seitdem sind Haremsdame­n sein Motiv. Sein letztes profession­elles Modell hatte dann noch einen so lockenden Namen, dass man an einen Kalauer nach James Bond denkt: Lydia Delectorsk­aja. Sie ist die „Große Liegende“aus Baltimore, die sich auf der Karodecke räkelt. Der einzige Fall, dass Matisse auf Bonnards Badeszenen eingestieg­en ist.

Am erstaunlic­hsten, was nicht zu sehen ist: Viele Arbeiten stammen aus den 1940er-Jahren. Idyllen allesamt, sie zeigen keine Spur von Krieg und Besatzung. Die Bilder selbst haben schon andere Geschichte­n. Das Matisse-Stillleben hat das Städel 1962 in New York ersteigert. Es war schon einmal im Haus: bis 1937. Dann wurde es als „entartet“abgehängt. Dauer: Öffnungsze­iten: Di., Mi., Sa., So. und Fei. 10-18 Uhr, Do. und Fr. 10-21 Uhr.

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FOTO: VG BILD-KUNST/BONN 2017 Pierre Bonnard (1867-1947): Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund, um 1909.
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FOTO: SUCCESSION H. MATISSE/VG BILD-KUNST, BONN 2016 Henri Matisse (1869-1954): Stillleben mit „Der Tanz“, 1909.

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