Aalener Nachrichten

Auszeit im Land der tausend Seen

Wasser und Wald, Adler und Bär – Die Mecklenbur­gische Seenplatte ist ein Refugium für Naturfreun­de

- Von Petra Lawrenz

Der Weg ins Paradies ist ziemlich holprig und eigentlich darf man auch gar nicht mit dem Auto hinfahren. Wir haben eine Ausnahmege­nehmigung, denn der einzige Bewohner erwartet uns schon. Er heißt nicht etwa Adam, sondern Roman und ist Naturfotog­raf. Sein Häuschen liegt mitten im Unesco-Weltnature­rbe, in den alten Buchenwäld­ern Serrahn. Kilometerl­ang führt der Weg immer tiefer in den Wald, der immer wilder wird, bis sich eine Lichtung auftut und Roman Vitts renovierte­s Waldbauern­haus in Sicht kommt. Wäre es ein Knusperhäu­schen gewesen, es hätte einen auch nicht besonders gewundert.

Märchenhaf­t ist hier so einiges, das zeigen schon die eindrucksv­ollen Fotografie­n, die Roman Vitt in einer alten Scheune ausstellt. Kraniche im Flug, die Buchenwäld­er im zauberhaft­en Morgenlich­t, vorwitzige Waschbären. Heute fotografie­rt er alles, was direkt vor seiner Haustür kreucht und fleucht, blüht und gedeiht. Vor ein paar Jahren hat er seinen stressigen Job als Mode- und Kosmetikfo­tograf aufgegeben und ist in die Mecklenbur­ger Wald-Einsamkeit gezogen, in den Müritz-Nationalpa­rk. Der rotblonde Hüne wirkt wie einer, der seinen Platz in der Welt gefunden hat. „Ich bin hier gar nicht allein“, meint Roman Vitt in bester Stimmung an diesem Sommermorg­en, an dem die Sonne gerade beginnt, den Tau und die Kühle aus dem Wald zu vertreiben. Manchmal gibt er Kurse für Hobbyfotog­rafen und zeigt Besuchern, wie großartig sein wild-schönes Reich ist.

Geduld ist hier die wichtigste Tugend, denn seine Models entscheide­n selbst, wann sie sich zeigen. Sei es der mächtige Seeadler oder eine wilde Füchsin, die ihm ab und zu einen Besuch abstattet. Aber das macht für Vitt den Reiz aus: Zeit haben, im Rhythmus der Natur leben und in der pechschwar­zen Nacht in die Sterne gucken, die hier natürlich auch heller strahlen als anderswo. Dieses Glück teilt der gebürtige Westfale ab und zu auch mit Feriengäst­en, die er in einem Nebengebäu­de beherbergt. Berlin ist nur eine gute Autostunde entfernt, und so sind es oft auch gestresste Großstädte­r, die, von so viel tiefer Stille und geballter Naturerfah­rung überwältig­t, nach zwei Wochen tiefenents­pannt und mitunter sehr nachdenkli­ch wieder abreisen. Er aber bleibt: „Ich will hier nicht mehr weg.“

So wie Roman Vitt geht es so manchem, der die Wälder und Seen – es sollen sogar mehr als tausend sein – Mecklenbur­gs erlebt. Sie wollen nicht mehr weg. So geht es ganz sicher auch Siggi, Balou, Tapsi, Mascha und den anderen dickfellig­en Bewohnern in einem anderen Waldgebiet in der Nähe der Müritz, dem größten und bekanntest­en Gewässer der Seenplatte. 17 Bären leben hier in einem weitläufig­en, 16 Hektar großen Gelände, dem Bärenwald Müritz.

Alles, was sich Bären wünschen

„Die Tiere hätten sich auch selber hier angesiedel­t“, meint Gisela Hentschel, die uns auf dem Rundgang begleitet. Denn es ist alles da, was Bären wünschen: genug Platz, tiefes Dickicht, Erde, in der sie graben können, Höhlen, in die sie sich zurückzieh­en können, Tümpel zum Baden. Meist sind es zwei oder drei Tiere, die sich ein abgezäunte­s Areal von zwei bis drei Hektar Wald teilen. Hier haben sie es so schön wie noch nie in ihrem Leben. „Manche Bären spüren hier zum ersten Mal Waldboden unter den Tatzen“, sagt die ehrenamtli­che Bärenfreun­din, die sich für das Tierschutz­projekt der Organisati­on Vier Pfoten engagiert. Denn alle Tiere stammen aus schlechter Haltung, sind gezeichnet von einem Leben in Käfigen, in Tierparks oder auf Rummelplät­zen, was für die scheuen Tiere ein oft lebenslang­es Martyrium bedeutet.

Es ist daher nicht sicher, ob und wie viele Bären man zu Gesicht bekommt. Sie werden nicht ausgestell­t, sie dürfen sich verstecken, Schaufütte­rungen gibt es nicht. Aber wir haben Glück: „Da drüben ist Otto!“, ruft Gisela Hentschel, und tatsächlic­h, der stattliche Braunbär tapst vorsichtig aus dem Unterholz, wohl um zu sehen, was für bunte Zweibeiner da wieder herumschle­ichen. Auch Siggi und Balou, Vater und Sohn, sind auf den Beinen. Schnüffeln­d und brummend treffen sie sich mit Mary aus dem Nachbargeh­ege am Zaun. Und Michal, der aus Polen stammt und im Kampf ein Vorderbein verloren hat, schaut mal eben nach, ob nicht doch etwas Futter in seinem roten Ball versteckt ist, wie so oft. Sie alle sind an Menschen gewöhnt, eine Auswilderu­ng kommt daher nicht infrage. Es ist eher eine Art betreutes Wohnen im Wald, eine Sommerfris­che für den Rest ihres Lebens.

Die hügelige Landschaft mit ihren vielen Seen und Wäldern lockt aber nicht nur Urlauber und „Einwandere­r“an, auch die Mecklenbur­ger wissen ihre schöne Heimat zu schätzen, auch wenn’s manchmal ganz schön stressig werden kann. Dann trägt Fährmann Tom gern sein T-Shirt mit dem frohgemute­n Motto „Ich brauche keinen Arzt, ich habe Humor“. Letzteren braucht er gelegentli­ch auch, denn hier am Schmalen Luzin kann’s manchen nicht schnell genug gehen. Ungeduldig­e Radler wollen herüber, müde Wanderer hinüber, und das am liebsten mit der alten Handzug-Seilfähre, wie früher. Um damit über das fjordartig­e Gewässer in der Feldberger Seenlandsc­haft überzusetz­en, braucht es aber nicht nur Humor, sondern auch Muskelkraf­t und Zeit. Deshalb nimmt Tom auch ganz gern mal seine schnelle Solarfähre, wenn die Leute am anderen Ufer winken. Dabei kann man hier eigentlich schon ein bisschen verweilen, nach einer Wanderung auf dem Hullerbusc­h beispielsw­eise, jenem Höhenrücke­n zwischen den Seen, wo Schafe weiden und wilder Thymian wächst und duftet.

Es sind keine spektakulä­ren Attraktion­en, die hier warten, aber manchmal braucht es für Erholung vom Alltag ja auch nicht mehr, als mit einem Eistütchen oder einem Pott Kaffee am Wasser zu sitzen, ein paar Kanufahrer­n nachzuscha­uen und mit etwas Glück einen Fischadler kreisen zu sehen.

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FOTOS: PETRA LAWRENZ Ohne Boot geht gar nichts: Zum Glück kann man am Schmalen Luzin in der Feldberger Seenlandsc­haft auch mit einer alten Handzug-Seilfähre oder einer neuen Solarfähre übersetzen.
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Michal ist verspielt und neugierig. Der polnische Bär ist eines der geretteten Tiere, die im Bärenwald Müritz leben dürfen.

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