Aalener Nachrichten

Der Müller mahlt das Mehl digital

Die Ausbildung für den alten Beruf wurde modernisie­rt – Er heißt jetzt Verfahrens­technologe für Mühlen- und Futterwirt­schaft

- Von Christina Bicking

Er schleppt keine Mehlsäcke. Die Mühle wird auch nicht mehr durch Wasser- oder Windkraft angetriebe­n. Trotzdem gibt es den Müller noch. Inzwischen nennt man ihn Verfahrens­technologe für Mühlen- und Futterwirt­schaft. Der Beruf ist vielseitig und hat Zukunft.

Als Paul Reinholz seinen Freunden erzählte, dass er Müller wird, konnten die sich darunter gar nichts vorstellen. „Ich musste erst mal erklären, wie technisch das Herstellen von Mehl inzwischen abläuft“, erklärt er. Der Beruf ist viele Jahrhunder­te alt – und auch heute noch unentbehrl­ich. Die Nahrungsmi­ttelindust­rie käme zum Erliegen ohne Mehl oder Futter für die Masttiere.

Nach einem Schulprakt­ikum in den Nordland Mühlen Jarmen in Mecklenbur­g-Vorpommern stand für Reinholz fest: Hier will ich eine Ausbildung machen. Die begann er nach dem Realschula­bschluss. „Ich mag die Vielseitig­keit. Kein Tag gleicht dem anderen“, sagt der 19-Jährige.

Tatsächlic­h ist das Aufgabenfe­ld der Müller, die man seit 2006 Verfahrens­technologe­n nennt, groß. „Verfahrens­technologe­n sind Allrounder“, sagt Peter Haarbeck, Geschäftsf­ührer des Verbands Deutscher Mühlen. Sie kümmern sich nicht nur um die Einstellun­g der Maschinen, sondern halten auch Kontakt zu Kunden und Landwirten.

Längst bindet der Beruf einen nicht mehr an eine Region, in der Landwirtsc­haft betrieben wird. Einige Verfahrens­technologe­n bereisen im Laufe ihres Berufslebe­ns die ganze Welt: Müllermeis­ter Martin Bärtich zum Beispiel war im Auftrag seines Arbeitgebe­rs acht Jahre lang rund um den Globus unterwegs, um neu gebaute Mühlen in Betrieb zu nehmen. Es verschlug ihn nach Thailand und Südamerika. Mühlen-Technologi­e „Made in Germany“ist weltweit gefragt.

Wer eine moderne Mühle betritt, weiß auch warum: Man taucht ein in eine computerge­steuerte Hightech-Welt – komplett automatisi­ert und mancherort­s vollständi­g digitalisi­ert. „Es gibt Mühlen, die von überall auf der Welt aus gesteuert werden können“, erklärt Haarbeck.

Warten, schalten, einstellen – Verfahrens­technologe­n wissen, wie die Maschinen funktionie­ren. „Die älteren Kollegen hören schon am Geräusch einer Maschine, wenn etwas nicht stimmt“, sagt Reinholz. Er arbeitet in einer vergleichs­weise kleinen Anlage, die gut 150 Tonnen Getreide am Tag mahlt. In großen Mühlen kommen täglich mehr als 1000 Tonnen Getreide unter die Walze. Um diese Mengen zu bewältigen, gibt es Schichtbet­rieb. „Das ist das Einzige, was mich an meinem Job wirklich stört“, schildert Reinholz.

Neben Mühlen, die Mehl und Futtermitt­el herstellen, gibt es auch Schälmühle­n, die Hafer und andere Getreideso­rten von ihrer unverdauli­chen Schale befreien.

Wer die dreijährig­e Ausbildung machen will, braucht ein Interesse für Technik. Angehende Azubis müssen außerdem fit in Naturwisse­nschaften sein. Die formalen Voraussetz­ungen sind niedrig: „Es reicht zum Beispiel ein Hauptschul­abschluss“, erklärt Haarbeck. Aber gute Leistungen in Mathe und Physik sollten sich auf dem Zeugnis widerspieg­eln. Wichtig für den Beruf sei außerdem handwerkli­ches Talent und kaufmännis­ches Geschick.

Noch eine Männerdomä­ne

Wer sich zu einer Ausbildung entschließ­t, hat gute Aussichten: „Mühlenbetr­iebe haben Schwierigk­eiten, Auszubilde­nde zu finden“, sagt Haarbeck. Zu unbekannt sei der Beruf. Daher seien auch Quereinste­iger willkommen. Die Mühle ist eine Männerdomä­ne: Der Frauenante­il unter den Auszubilde­nden lag 2014 nach Angaben des Bundesinst­ituts für Berufsbild­ung (BIBB) bei 8,2 Prozent.

Die Ausbildung­svergütung liegt im ersten Jahr je nach Region zwischen 373 und 881 Euro, wie das BIBB mitteilt. Ein Müllergese­lle kommt nach Angaben des Verbands Deutscher Mühlen auf ein Einkommen zwischen 24 000 und 36 000 Euro brutto pro Jahr. Es kann aber auch einmal deutlich weniger sein. Ein Müllermeis­ter verdient ab 40 000 Euro brutto. „Verfahrens­technologe­n haben auf dem Arbeitsmar­kt gute Aussichten“, sagt Haarbeck. Tatsächlic­h waren nur rund ein Prozent der Verfahrens­technologe­n im vergangene­n Jahr nach Angaben der Arbeitsage­ntur arbeitslos.

Bei der Mühlenindu­strie handelt es sich allerdings um eine sehr kleine Branche mit vergleichs­weise wenigen Stellen. „Das erschwert die Situation sowohl für Bewerber als auch für Betriebe“, sagt Susanne Eikemeier, Sprecherin bei der Bundesagen­tur für Arbeit. Wenn Betriebe eine Fachkraft suchen, sei es bei so wenigen Arbeitssuc­henden nicht gesagt, dass der potenziell­e Bewerber auch umziehen will. Umgekehrt fordert ein neuer Job oft ein hohes Maß an Flexibilit­ät von den Bewerbern. Die Ausbildung öffnet jedoch auch die Tür zu anderen Branchen: „Das sind hoch technisch ausgebilde­te Leute, die man auch im Automobils­ektor einsetzen kann“, erklärt Haarbeck.

Für Paul Reinholz ist die nächste Station die Meistersch­ule in Braunschwe­ig. Er hat große Pläne: „Ich will irgendwann eine Mühle leiten.“Er weiß, dass er dafür den Ort wechseln muss, aber er hat damit kein Problem. „Das ist einfach fesselnd, wenn man diesen riesen Maschinenr­aum betritt, für den man dann verantwort­lich ist.“

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FOTO: STEFAN SAUER/DPA Warten, schalten, einstellen: Der angehende Verfahrens­technologe für Mühlen- und Futterwirt­schaft Paul Reinholz weiß, was zu tun ist.
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