Mittagessen als Erfolgsrezept
Hubert Wicker, Spitzenbeamter in Landesdiensten, geht nach 37 Jahren in Pension
STUTTGART - Mit politischer Korrektheit hat es Hubert Wicker nicht so. Als er einmal eine Delegation von Politikern und Journalisten nach Wien begleitet hat, sorgte er auf dem Flug für Unterhaltung – mit deftigen Witzen über Österreicher. „Würde man mein Telefon abhören, wäre ich längst entlassen“, soll er einem seiner Mitarbeiter gesagt haben. Dazu kam es nie: Am Mittwoch wurde der einstige Chef der Staatskanzlei und Regierungspräsident von Tübingen aus dem Landesdienst verabschiedet – nach 37 Jahren.
Ein Maßband brauchte Wicker (69) nicht. In den Wochen vor seinem Abschied wurde der Spitzenbeamte aus Albstadt-Ebingen gefragt, ob er morgens einen Zentimeter von einem solchen abschneide – bis zum letzten Arbeitstag. „Das habe ich im Kopf“, sagte Wicker darauf. Der Mann behält eben gern den Überblick. Ohne den geht es nicht, wenn man einer der wichtigsten Strippenzieher hinter den Kulissen der Landespolitik ist. Zuletzt stand er der Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) als Amtschef zur Seite.
Enge Freundschaft mit Oettinger
Wicker, damals Mitglied der Jungen Union, studierte in den 1970er-Jahren Jura in Tübingen. Dort begann sein Freundschaft mit Günther Oettinger, später bekanntlich Ministerpräsident und heute EU-Kommissar. Kurz nach dem zweiten Staatsexamen wechselte er in die Politik. Als parlamentarischer Berater arbeitete er ab 1978 für die CDU-Fraktion unter Erwin Teufel.
Wickers Karriere in der Verwaltung begann 1984 im Innenressort des Ministers Dietmar Schlee (CDU). Kurz nach der Wende leistete er im sächsischen Innenministerium Aufbauarbeit. Eine prägende Zeit, so Wicker, die ihn dankbar gemacht habe für die Errungenschaften der Demokratie. Als Regierungspräsident von Tübingen setzte er sich für das Biosphärengebiet Schwäbische Alb ebenso ein wie für den Straßenbau. Als politischer Beamter ließ Wicker nie Zweifel an seinen CDU-Wurzeln aufkommen, galt im Bezirksvorstand WürttembergHohenzollern als einflussreich. Bei seinem Abschied rief ihm der SPDPolitiker Norbert Zeller deswegen nach, er habe die rot-grüne Bundesregierung zu sehr attackiert.
Der Sprung in die politische Spitze gelang 2007. Oettinger machte Wicker zum Chef der Staatskanzlei und damit zu einem der einflussreichsten Beamten im Land. Die strategische Planung der Regierungsarbeit, das Verhandeln mit den Ministerien, all das und mehr oblag damit Wicker. Eine Stellenbeschreibung wie auf ihn zugeschnitten: ein gut gefülltes Adressbuch, Talent zum Small Talk wie zu harten Verhandlungen sowie die nötige Durchsetzungskraft.
Warum Wicker dies lag, wissen heute selbst junge Kollegen in den Stuttgarter Ministerien. Ein guter Typ sei er, heißt es da, ein alter Haudegen mit Interesse für seine Mitarbeiter. Eines der Erfolgsgeheimnisse kursiert ebenfalls: Der Beamte habe jeden Tag mit jemand anderem zu Mittag gegessen. So pflegte und erweiterte er sein Netzwerk.
Faule Beamte gemaßregelt
Dennoch lässt sich Wicker nicht auf den jovialen Gesprächspartner reduzieren. In seiner Zeit als Regierungspräsident machte er sich nicht überall beliebt. So feuerte er den damaligen Sigmaringer Landrat Jürgen Binder nach diversen Eskapaden. Außerdem schaffte er es in die Bundespresse, indem er dem angeblich faulsten Beamten seiner Behörde das Gehalt kürzte. „Ich hätte unter mir nicht arbeiten wollen“, sagte Wicker am Mittwoch.
Selbstironie und Witz kennzeichnen Wicker ebenso wie die Verbundenheit zur Heimat auf der Alb. Diese teilt er mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Wickers Einsatz im „Förderverein Schwäbischer Dialekt“begeistert den Grünen. „Es war immer Balsam für meine Ohren, wenn jemand schwätzt, wie ihm das Maul gewachsen ist – und nicht dieses Stuttgarter Honoratioren-Schwäbisch“, sagte Kretschmann bei der Verabschiedung in der Staatsgalerie.
Pragmatismus und Glaube
Die beiden Katholiken von der Alb eint ihr Glaube ebenso wie ihr Pragmatismus: Als in Kretschmanns Heimatdorf Laiz ein Neubau den Blick auf die Kirche zu versperren drohte, schrieb der Grüne, damals noch einfacher Abgeordneter, an Wicker. Nur ein Eintrag als Denkmal könne die Kirche vor der Verschandelung schützen. „Sie glauben gar nicht, wie schnell die Kirche da eingetragen wurde“, erinnert sich Kretschmann.
Zum Abschied bekam Wicker einen Fitness-Tracker fürs Handgelenk geschenkt. Der soll dem passionierten Wanderer helfen, seine Schritte zu zählen. Man kann davon ausgehen, dass Wicker die Elektronik nicht braucht. Er hat ja den Überblick.