Der Spielerversteher, der die Spieler verlor
Das desolate 0:3 der Bayern in Paris kostet Carlo Ancelotti den Job – Sagnol übernimmt
MÜNCHEN - Das war’s dann. Ciao, Carlo! Der Italiener Carlo Ancelotti ist beim FC Bayern Geschichte. Am Donnerstag um 15.45 Uhr gab der Verein nach einer Krisensitzung, die unmittelbar auf den Rückflug vom demaskierend schwachen 0:3 (0:2) in der Champions League bei Paris St. Germain erfolgte, die Trennung bekannt. Nie verlor ein Bayern-Trainer früher in der Saison seinen Job. Für Ancelotti, der Teile der Mannschaft gegen sich aufgebracht hatte, ist es die erste Entlassung während der laufenden Saison.
„Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen, die wir an sie stellen. Das Spiel in Paris hat deutlich gezeigt, dass wir Konsequenzen ziehen mussten“, ließ sich Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in einer Mitteilung zitieren. Schon beim Mitternachtsbankett im Saal des „Hotel du Collectionneur“hatte Rummenigge mit versteinerter Miene geschimpft: „Das, was wir gesehen haben, war nicht Bayern München.“Nach einer Vorführung, einer Blamage gegen ein Pariser Starensemble, das übrigens weit davon entfernt war, ein Topspiel abzuliefern. Und doch war Bayern mit dem 0:3 noch gut bedient.
„Carlo ist mein Freund und wird es bleiben, aber wir mussten hier eine professionelle Entscheidung im Sinne des FC Bayern treffen“, so Rummenigge weiter. Auch Ancelottis italienisches Betreuerteam um Giovanni Mauri, dessen Sohn Francesco Mauri, Mino Fulco und Ancelottis Sohn Davide wurde freigestellt. Es übernimmt Willy Sagnol (40), der Ancelotti vor Saisonbeginn als CoTrainer – oder doch als Aufpasser, wie verschiedene Beobachter im Sommer schon unkten – zur Seite gestellt wurde. Der einstige Publikumsliebling, der von 2000 bis 2009 seine berühmten Halbfeldflanken auf die bajuwarischen Mittelstürmer zirkelte, feiert seine Premiere als Bundesligatrainer am Sonntag bei Hertha BSC (15.30 Uhr/Sky). Vom Club wurde „Willyyyy“, als Typ ähnlich umgänglich wie sein geschasster Vorgänger, ausdrücklich als „Interimstrainer“bezeichnet.
In der folgenden Länderspielpause wollen Rummenigge, Präsident Uli Hoeneß und Sportdirektor Hasan Salihamidzic den neuen Chefcoach finden,. Doch wer könnte das sein? Dass die alten Bekannten Ottmar Hitzfeld (68) oder Jupp Heynckes (72) erneut aus der Rente reaktiviert werden, scheint ausgeschlossen. Ebenso wie ein Comeback von Louis van Gaal, der in Paris Augenzeuge des Desasters war, aber mit dem Hoeneß sich sicher nicht wieder Woche für Woche streiten möchte. Und Julian Nagelsmann, schon länger nicht nur Hoeneß’ Favorit für die Zeit nach Ancelotti? Wird in Hoffenheim sicher nicht mitten in der Saison aus seinem Vertrag aussteigen. Also: Bis Saisonende warten? Oder gleich Thomas Tuchel verpflichten, ein Abbild von Pep Guardiola als Trainertyp, und angeblich Rummenigges Favorit?
Das „Prestigespiel“, das „Duell neureich gegen altreich“, beides Wortschöpfungen Rummenigges, hat die Bosse in eine Zwickmühle gebracht. Und besiegelte als (Kurzschluss-)Handlung das Aus von Ancelotti. Woran er gescheitert ist:
Der Zoff mit Ribéry und anderen
Führungsspielern: Auf Franck Ribéry bei seinem wohl letzten großen Spiel in der Heimat ganz zu verzichten, ist sportlich nachvollziehbar, aber aus zwischenmenschlicher und atmosphärischer Sicht fragwürdig. Ribéry schmollte. Ancelottis Verhältnis zu Jérôme Boateng, angeblich wegen seines Reha-Plans auf der Tribüne, soll schon länger schwer belastet sein, Thomas Müller stichelte schon vor Wochen, auch Arjen Robben und Mats Hummels schienen auf Distanz gegangen zu sein. „Die Tatsache, dass der Trainer aus meiner Sicht in den letzten Tagen fünf wichtige Spieler auf einen Schlag gegen sich gebracht hat, das hätte er niemals durchgehalten“, sagte auch Hoeneß am Donnerstagabend der „Funke Mediengruppe“. Zum ersten Mal verlor Ancelotti, der große Spielerversteher des Fußballs, eine Mannschaft.
Seine Wurstigkeit: Bei seiner Verpflichtung ● priesen die Bosse Ancelottis Bärenruhe, seine Kunst, mit Superstars bestens zu können. Er sollte ein Moderator sein, den Verein nach drei intensiven und anstrengenden Jahren mit dem detailbesessenen Pep Guardiola beruhigen. Was ihm nur anfangs gelang. Danach schläferte Ancelotti die Mannschaft eher ein. Fast alle Personalentscheidungen des Sommers schienen ihm einerlei.
Training und Taktik: Nur mit Verzögerung ● reagierte Ancelotti auf die Empfehlung der Bosse in der vergangenen Winterpause, die Spieler doch im Training bitte mehr ranzunehmen. Sein eigentlich bevorzugtes System mit drei Stürmern ohne hohes Gegenpressing zog er durch, bis die Stars rebellierten. „Wenn meine Spieler lieber 4-2-3-1 spielen als 4-3-3, dann sollen sie das tun“, meinte er letzte Saison. In kürzester Zeit riss er das spielerische Erbe Guardiolas ein. Nichts ist mehr zu sehen vom strategisch ausgereiften Ballbesitz-Dominanz-Fußball. Die mühsam (und teils ermüdend) einstudierten Automatismen sind verschwunden – siehe alle drei Gegentore in Paris, wo Löcher in der Größe eines halben Spielfelds zwischen den Spielern klafften.
Die Aufstellung in Paris: Ohne ● Mats Hummels in der Innenverteidigung, ohne die Flügelstürmer Arjen Robben und Franck Ribéry. Ancelotti wollte ein Zeichen setzen, zeigen, dass er die Macht über die Aufstellung hat. Es wirkte ein wenig, als ob er rotierte um des Rotierens Willen. Ging nach hinten los. Auch, weil seine taktische Idee, das Mittelfeld mit den drei zentralen Akteuren Corentin Tolisso, Thiago und Arturo Vidal zu verdichten, nicht zündete.
Sein erloschenes Feuer: Selbst Ancelottis ● Mentor, Taktik-Guru Arrigo Sacchi, erkannte zuletzt: „Ich habe den Eindruck, dass der Enthusiasmus der Mannschaft verloren gegangen ist. Man wird älter und verliert Leidenschaft und absoluten Willen, das ist das Leben.“Gut beobachtet. Ancelotti wirkte oft so, als habe er einfach schon alles gesehen und erlebt.