Zurück zu seinen Wurzeln
Schönheitschirurg Werner Mang will die Spielvereinigung Lindau sanieren und die Kinder vom Handy loseisen
LINDAU - Es ist ein malerischer Herbsttag am Bodensee, 20 Grad, laue Brise, kurze Grashalme, die perfekte Kulisse für ein Spitzenspiel. Werner Mang, der neue, sehr prominente Präsident der SpVgg (Spielvereinigung), kommt etwas später, er war in München, Oktoberfest. Beiden Anlässen angemessen trägt Mang ein Trachtensakko, natürlich in Grün, den Farben des Vereins, und er ist mächtig stolz auf die Kulisse: 450 Zuschauer, für Kreisliga-Verhältnisse ein Knüller, für den Club: ein Milleniumsrekord. „Wenn das so weitergeht, müssen wir noch nen VIP-Raum bauen, und da hinten wäre noch Platz für eine Zusatztribüne“, sagt der 68-Jährige. Ein Scherz. Sie wären schon froh in Lindau, sie könnten in der Wiese hinter dem Sportplatz einen neuen Kunstrasenplatz einweihen, sollte die Stadt eines Tages ihren Segen geben.
Zur Halbzeit, Europas schillerndster Schönheitschirurg fragt gerade den Betreuer, ob es im Medizinkoffer noch an etwas mangelt, kommt es zu einer kurzen, rätselhaften Begegnung. Die Nr. 7 des Tabellenführers TSV Brochenzell läuft auf Mang zu, begrüßt ihn mit Namen, schüttelt ihm die Hand und geht weiter. Mang erwidert den Gruß, dann murmelt er zu sich: „Kenn ich nicht.“Aber die Nr. 7 kennt eben ihn – nicht von der Operationsbank, wie er lächelnd beteuert, sondern von den Medien, die von Mang als Retter der Spielvereinigung künden. „Ich wollte ihm meinen Respekt erweisen, ich finde es gut, was er hier macht. Er will etwas bewegen“, sagt die Nr. 7. Neidisch auf die Lindauer, die angeblich viel Geld investieren wollen, sei man in Brochenzell nicht. „Ob wir aufsteigen, liegt ja an uns.“Außerdem haben die Gäste ja gerade 1:0 gewonnen.
Zwei Wochen später, in Mangs Bodenseeklinik. Der Professor lässt warten, aber langweilig wird es nicht in seinem Büro. Auf dem Tisch liegt eine Biographie von Udo Lindenberg, in einer Vitrine prangt das Operationsbesteck des Leibarztes von Napoleon, und die Wände kommen einem Mosaik sehr nahe: lückenlos tapeziert mit Hunderten gerahmten Fotos, die den Arzt lächelnd mit berühmten Menschen zeigen. Es sind Schauspieler, Sänger. Zuvorderst allerdings Menschen, die die Schönheit, die Makellosigkeit, die Perfektion in ihrem Beruf brauchen und sehr wahrscheinlich gelitten haben dürften, weil das Alter, das Leben, der Verschleiß, die Falten vor keinem haltmachen. Immerhin lächeln sie jetzt neben dem Arzt, viele seien seine Freunde, sagt Mang.
Glückshormone statt Internet
Ein kleines, unscheinbares Bild in dieser Galerie fällt aus der Rolle. Es hängt rechts am Eingang unten an der Türschwelle, es zeigt Mang selbst in einem gelben Wollpullover, kniend und umgeben von zehn Kameraden in einem Trikot. Elf dürfte er auf dem Foto sein, und dass er anders als die anderen aussieht, hat einen Grund: Er ist der Torhüter. Mang nimmt das Bild in die Hand, er hat es lange nicht gesehen, seine Augen glänzen. „Den hat meine Mutter selbst gestrickt. Das war in der D-Jugend. Wolfgang Fahrian, das war mein Vorbild.“Der Nationaltorhüter, der bei der WM 1962 das deutsche Tor hütete. Ein gebürtiger Blausteiner zudem, „ein Ulmer wie Einstein, Uli Hoeneß und ich“, sagt Mang lachend. Er beliebt zu scherzen.
Es gibt Menschen, die sagen Werner Mang nach, er sei ein wenig sehr selbstbewusst, zuweilen, in unachtsamen Momenten, auch cholerisch, machthaberisch, undiplomatisch. Mang selbst hat das in der TV-Sendung „Krause kommt“einmal eingeräumt mit dem Selbstvorsatz, künftig geduldiger, gütiger, milder zu werden. Sein Projekt, dem Fußballclub seiner Kindheit wieder zum Aufschwung zu verhelfen, ist in jedem Fall von Altruismus beseelt. „Ich hab die Zeit als kickender Bub einfach in wunderbarer Erinnerung, die Kameradschaft, das Weihnachtsessen mit den anderen. Da gab's noch kein Handy, kein Internet, kein großes Fernsehen, da ging man halt auf den Fußballplatz, und das ist auch als Präsident mein Ziel: Ich möchte die Kinder und Jugendlichen weg vom Handy und Chillen bringen. Instagram, Facebook, das ist doch alles absurd, das Internet hat viele Schattenseiten. Das analoge Leben ist glücklicher gewesen, früher hat man ein Musikinstrument gelernt und ist raus auf den Fußballplatz. Viele Kinder wissen heutzutage gar nicht mehr was das bedeutet, und der Schulsport wird immer weiter gekürzt. Dabei ist es so: Wenn man zwei Stunden gekickt hat, schüttet man so viele Glückshormone aus, dann ist man danach auch nicht mehr so frustriert.“
Mang, der Einzelkämpfer
Mang schwärmt von den Boomjahren der SpVgg, damals, in den 1960erJahren, als die Lindauer in der Schwarzwaldbodensee-Liga zweimal Vizemeister wurden und regelmäßig mehr als 1000 Zuschauer zu den Spielen kamen. Er selbst hörte allerdings schon mit 14 auf mit dem Kicken und wandte sich dem Tennis zu, brachte es bis zum Allgäuer Meister, mit Ski- und Tennisstunden verdiente er sich später in München zum Teil sein Studium. Er sei nunmal kein Teamplayer, sondern ein Einzelsportler, einer, der sich für den Erfolg ungern auf andere verlasse und für alles selbst verantwortlich sein wolle, sagt Mang. Als Torhüter habe er es schlecht vertragen und sich viel geärgert, wenn die Abwehr vor ihm geschlafen habe. Er könne schlecht verlieren. Und doch hat Mang dabei gelernt, wie wichtig so ein Teamsport ist: ein Verein, eine Verwurzelung, Menschen für die Menschen. Und: „Mein Herz hat immer dem Fußball gehört.“Also beschloss er, etwas zurückzugeben. „Wir haben 550 Jugendliche in 16 Mannschaften, eine Riesen-Jugendabteilung, und es war mir wichtig, dass dieser Verein von unten wieder aufgebaut wird“, sagt er. „Und wenn ein Kind kein Geld hat für Fußballschuhe, dass es auch unterstützt wird.“
Manches bei der SpVgg befand sich in den letzten Jahren im Niedergang. Die erste Mannschaft stürzte 2015 bis in die B-Klasse ab, eine A-Jugend gab es jahrelang gar nicht mehr, manchem Jugendtrainer fehlte eine zertifizierte Ausbildung. „Man hat mich in den Jahren immer wieder gefragt, ob ich mit meinen Kontakten helfen könnte“, sagte Mang. „Schließlich hab ich mich erweichen lassen.“Ein Gespräch mit Rainer Callmund, dem langjährigen Manager von Bayer Leverkusen, der ihn in der Klinik besucht habe, gab den letzten Kick: „Er sagte, im Fußball muss man ein positiv Verrückter sein.“
Der Traum vom FC Bayern
Mang, der Einzelkämpfer, hat also ein Team geschnürt: installierte in Ferdinand Wiedemann einen MarketingVorstand, der sich um die Sponsoren kümmert (die der Großunternehmer Mang schon mal mit einem Anruf von einem Einstieg überzeugt, was zur amüsanten Tatsache führt, dass mal Mercedes, zwei Wochen später wieder BMW mit ihren Vierrädern auf der Lindauer Tartanbahn werben). Überzeugte Karsten Krannich, ehemals Zweitligatorhüter in Ulm und WFV-Stützpunktleiter sowie Trainer in Wangen, Sportvorstand zu werden. Und holte im Serben Srdan Gemaljevic einen Coach, der schon Lustenau und Bregenz trainierte (zu ErstligaZeiten) und Assistent der Nationalteams von Iran und Serbien war. Der 57-Jährige rettete das Team im Vorjahr vor dem Abstieg und kümmert sich hingebungsvoll um die A-Jugend, die wie die B- und C-Jugend in der untersten Klasse spielt, aber wenigstens wieder existiert. Und Callmund? Das Schwergewicht des deutschen Fußballs a. D. sitzt jetzt im Beirat.
Nicht der Hopp vom Bodensee
Im Sport lernt man, dass es manchmal nur mit kleinen Schritten aufwärts geht, dass auf zwei Schritte vorwärts manchmal auch zwei zurück folgen. Mit viel Geld und Ungeduld ein paar Schritte auslassen, das wollen die Lindauer und Mang nicht, derzeit liegen sie auf dem Relegationsplatz. „Ich bin kein Abramowitsch und auch nicht der Hopp vom Bodensee“, sagt Mang. Krannich betont, man werde nichts tun, was den Etat sprenge, der im Vergleich zur Konkurrenz zwar großzügig, aber nicht riesig sei. Von den sieben Neuzugängen im Sommer seien fünf Rückkehrer gewesen, wichtig sei Nachhaltigkeit: „Wir haben einen hohen vierstelligen Betrag in Jugendequipment gesteckt, wir wollen mit eigenen Spielern nach oben und haben keinen Druck: Wir müssen in diesem Jahr noch nicht aufsteigen.“
Einig sind sich die beiden, dass die erste Mannschaft noch einen guten Stürmer brauche, wolle sie 2019, zum 100. Geburtstag der SpVgg, die Rückkehr in die Bezirksliga feiern. Mang träumt von einem Geburtstagsspiel gegen den FC Bayern, seinen zweiten Lieblingsclub. Mit Vorstandschef Karlheinz Rummenigge hat er bereits darüber geredet. Vielleicht wäre es auch ein romantisches Geschenk für das 70. Wiegenfest des Präsidenten: Lindau, wo er groß wurde, und München, wo er sehr groß wurde, würden für einen Tag zusammenkommen.