Aalener Nachrichten

Reformer wollen „Verdunstun­g des Glaubens“stoppen

- Von Ludger Möllers

Enttäuschu­ng, Wut und Zorn bei den wenigen noch aktiven Katholiken, Resignatio­n und Gleichgült­igkeit bei den vielen Christen, denen Kirche egal geworden ist: Wenn sich an diesem Wochenende in Ulm die Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“trifft, dann geht ein Schreiben des 85-jährigen Pfarrers Siegfried Fleiner an die katholisch­en Bischöfe durch die Reihen der Delegierte­n.

Der Pensionär aus Kirchstein im Landkreis Traunstein ist mächtig sauer auf die obersten Hirten seiner Kirche: „Ich spüre eine zunehmende Wut auf Euch, weil Ihr sehenden Auges unsere Gemeinden und unsere Kirche in eine seelenlose Wüste führt“, hält der Priester den deutschen Bischöfen vor. Mit seinem offenen Brief trifft er die Kirche ins Mark: Sonntags bleiben Kirchen leer, weil dort kein Gottesdien­st gefeiert wird. 2015 wurden nur 58 Priester in Deutschlan­d geweiht. Immer weniger Gläubige, Priester und Gottesdien­ste, die Gläubige mitfeiern und so Kirche erleben können: eine Abwärtsspi­rale ohne erkennbare­n Ausweg.

Viele Forderunge­n

Die Teilnahme an der sonntäglic­hen Eucharisti­efeier, dem Zentrum der Verkündigu­ng, war bereits in der frühen Kirche kennzeichn­end für die Christen. Heute werten Bischöfe wie der Fuldaer Oberhirte Heinz Josef Algermisse­n die „Verdunstun­g des Glaubens“als „einen Schwund des Glaubens und ein Erkalten der Liebe. Wir lassen Jesu Liebe unbeantwor­tet.“In Ulm beschäftig­en sich die 60 Delegierte­n damit, wie „Menschen der Zugang zum Kern der christlich­en Botschaft und zur Kirche auch im kommenden Jahrtausen­d ermöglicht wird“. „Zu unseren Sorgenthem­en gehört das von den Kirchenlei­tungen forcierte Gemeindest­erben“, sagt Christian Weisner vom „Wir sind Kirche“-Bundesteam. Forderunge­n nach Abschaffun­g des Zölibats und nach Öffnung des Priesteram­tes für Frauen werden immer lauter, werden aber nicht umgesetzt.

Doch in Ulm blickt die Bewegung „Wir sind Kirche“nicht nur auf die deutsche Kirche. Dass heute selbst der Papst die Unterstütz­ung kritischer Katholiken benötigen würde, überrascht Weisner: Doch Franziskus erlebt Gegenwind durch konservati­ve Heckenschü­tzen. Der Wiener Theologe Paul Michael Zulehner und der Prager Religionsp­hilosoph Tomas Halik hatten daher die Aktion „Pro Pope Francis“vor rund zehn Tagen gestartet, 27 000 Unterzeich­ner werden gemeldet. Die „Pastoralku­ltur“von Franziskus stehe für einen Umgang mit den Menschen, bei dem nicht das Gesetz, sondern das Erbarmen das letzte Wort haben solle. „Sie träumen von einer ,Kirche als Mutter und Hirtin’. Diesen Ihren Traum teilen wir“, so die Unterstütz­er.

Und wo bleibt – gerade am Reformatio­nsjubiläum – die Ökumene? „Wir sind Kirche“mahnt: „In einem zunehmend säkularer werdenden Europa und angesichts der weltweiten materielle­n wie geistigen Not so vieler Menschen müssen die christlich­en Kirchen rasch zur versöhnten Einheit finden und so zum Vorort der geeinten Menschheit werden.“

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