In Aalen kam die Reformation als letztes an
Lutherische Bewegung hat erst 1575 in der Reichsstadt Einzug gehalten
AALEN - Aalen darf eigentlich erst in rund 60 Jahren 500 Jahre Reformation feiern. Denn Aalen war die letzte Reichsstadt, in der die Reformation offiziell Einzug gehalten hat – das war 1575. Warum? Böse Zungen behaupten, es habe der Mut gefehlt und der Wille zum Durchführen. „Man könne es aber auch positiv ausdrücken und sagen, dass sie schlau gehandelt haben“, sagt der Aalener Stadthistoriker Georg Wendt. Schlau, weil sie sich dadurch aus der Schusslinie nahmen und von zwei Kriegen verschont blieben.
Zu der Zeit, als Martin Luther die Bibel übersetzte, gab es in Aalen nicht mehr als 2000 Einwohner, sagt Wendt, der als Quelle auf das Buch „Evangelische Kirchenbauten im Dekanat Aalen“verweist, in dem Thomas Haller die Reformationsgeschichte Aalens neu aufgearbeitet hat. Die Stadt war damals umgeben von der erzkatholischen Fürstpropstei Ellwangen, an die sie Abgaben zahlen musste. Sprich: Geistlich gesehen hatte der Fürstpropst von Ellwangen das Sagen, weltlich war die Reichsstadt direkt dem Kaiser unterstellt. Und auch wenn es einen Rat in der Stadt gab, war das wenig betuchte Aalen trotzdem stark abhängig vom Kaiser und darauf bedacht, dessen Willen umzusetzen.
Die Reformation wurde wohl von Händlern nach Aalen getragen. „Man muss sich das so vorstellen, dass Buchhändler in die Stadt kamen und lutherische Schriften verkauften.“In deutscher Sprache – wohlgemerkt. Dieser Umstand, selbst das Wort Gottes zu lesen und zu deuten, war vor allem für gebildete Bürger reizvoll. 1525 kam dann mit Conrad Delphin ein Pfarrer nach Aalen, der ansatzweise die modernen Thesen verkündete. Zu dieser Zeit haben sich wohl einige Aalener Luthers Thesen zugewandt, sagt Wendt. Vorerst im Geheimen. „Es wurde ausgetestet, wie weit man gehen kann, ohne wirklich gegen den kaiserlichen Willen zu handeln.“
Neutralität zahlt sich aus
An die Grenzen der kaiserlichen Gutmütigkeit stieß Aalen vier Jahre später: Der Reichstag hatte etwas von den neuartigen Reden mitbekommen, der Kaiser verlangte, dass Aalen das Wirken Delphins beenden möge. Der verließ daraufhin die Stadt und ging in das evangelische Württemberg, nachdem ihm die Bürger Aalens auch sein Einkommen teilweise verweigert hatten.
Die konfessionelle und politische Neutralität der Aalener sollte sich noch auszahlen: Als nämlich die Katholiken 1547 den Schmalkadischen Krieg gewannen, blieb Aalen von den Plünderungen verschont, ebenso als die Reformatoren fünf Jahre später einen Fürstenaufstand gewannen.
Vielleicht setzten die Stadtväter deswegen ihre zögernde Konfessionspolitik auch dann noch fort, als 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden die Luther-Anhänger ihre Religion frei ausüben konnten. Einerseits versicherte die Stadt dem Ellwanger Fürstpropst die Treue zum Katholizismus. Andererseits ließ man zu, dass die Oettinger einen ehemaligen Mönch namens Georg Hummel nach Aalen schickten, der sich um das Seelenheil der evangelischen Brüder kümmern sollte. Zudem wurde ein evangelischer Stadtschreiber eingesetzt: Johannes Preu aus Bopfingen hatte damit eine Stellung inne, in der er die Stadtpolitik mitgestalten konnte.
Letztendlich war es der Mann, der die Reformation in Aalen am wenigsten gut hieß, der den Stein ins Rollen brachte: Der katholische Fürstpropst selbst. Ihm platze der Kragen und er drückte den Aalenern einen Vertrag auf, der die vorsichtige Lutherisierung der Stadt zurückdrehte: Nicht mehr der städtische Schulmeister, sondern ein Pfarrhelfer sollte den Religionsunterricht in der Schule besorgen, bezahlen sollte dafür die Stadt. Besonders das stieß den Aalenern sauer auf. Die Räte der Stadt holten sich ausländische Expertisen aus Nördlingen, Augsburg und Württemberg.
Aalen war eher Nebenschauplatz
Die Sache war klar: Rat und Bürger mussten sich mehrheitlich zu der neuen Konfession bekennen, da man sonst Katholiken und Evangelische nach dem Reichsgesetz in der Stadt gleich behandeln musste. Hummel, der Mann, der sich um das Wohl der Evangelischen in Aalen kümmern sollte, organisierte 1575 schließlich ein Bürgerbegehren. Das hatte zur Folge, dass der Rat sich am 6. Juni 1575 einstimmig zur Reformation bekannte. Nur 40 Personen blieben weiterhin katholisch. Kurz darauf hielt der Tübinger Uni-Kanzler Jakob Andreae die erste evangelische Predigt in Aalen, die Stiftskirche wurde evangelisch und ein lutherischer Pfarrer wurde eingesetzt.
Im Großen und Ganzen war Aalen eher Nebenschauplatz der Reformation, sagt Wendt. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass Luther jemals hier war.“Neben der Religion, die im späten Mittelalter den Alltag bestimmt hatte, waren aber auch städtepolitische und finanzielle Interessen Triebkräfte der Reformation. „Wie in vielen anderen Städten ging es auch in Aalen um die Emanzipation von katholischen Herrschern.“
„Es gibt keine Hinweise, dass Luther jemals hier war“, sagt Georg Wendt.