Aalener Nachrichten

„Die Stärkung der Ortsmitte ist von hoher Bedeutung“

Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverb­ands deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n

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RAVENSBURG - Warum und von wem wird auf dem Land gebaut? Wer hat ein Interesse an den Neubaugebi­eten auf dem Land? Warum streben Dorfbürger­meister nach immer neuen Wohnbaugeb­ieten? Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverb­ands deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GDW), antwortet auf diese und weitere Fragen.

Herr Gedaschko, wie attraktiv sind ländliche Gebiete?

78 Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d würde lieber auf dem Land, in einer Kleinstadt oder einer Mittelstad­t leben und eben nicht in einer Großstadt. Die meisten, nämlich 45 Prozent der Bevölkerun­g, würden das Wohnen in einer ländlichen Gemeinde bevorzugen. Das geht aus einer Befragung der Bundesstif­tung Baukultur hervor. Immerhin noch jeder Dritte (33 Prozent) würde sich für eine Klein- oder Mittelstad­t entscheide­n.

Was ist die Folge?

Vor diesem Hintergrun­d entstehen auf dem Land verstärkt Einfamilie­nhäuser. Insgesamt leben 60 Prozent der Deutschen und damit mehr als die Hälfte in Landgemein­den, Kleinstädt­en und kleineren Mittelstäd­ten bis zu 50 000 Einwohner. 93 Prozent der Fläche Deutschlan­ds werden von diesen Gemeinden jenseits der großen Metropolen eingenomme­n. Nur 200 Städte und Gemeinden von knapp 11 300 Kommunen in Deutschlan­d haben mehr als 50 000 Einwohner. Gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in allen Teilen Deutschlan­ds zu schaffen, ist ein in Artikel 72 Absatz 2 Grundgeset­z verankerte­s Ziel. Dennoch besteht in vielen Kleinstädt­en und Dörfern die Sorge, zurückgela­ssen zu werden. Jobs gehen verloren, junge Leute ziehen weg, die Versorgung mit Einzelhand­elsgeschäf­ten und Arztpraxen wird immer dünner.

Wie kann dieser Entwicklun­g begegnet werden?

Schon heute gibt es jenseits der bekannten Ballungsrä­ume stabile Mittelstäd­te, die trotz Schrumpfun­g ein Entwicklun­gspotenzia­l durch ihre Bedeutung für das Umland in sich bergen. Die Abwanderun­g findet oft statt, obwohl diese Regionen heute in weiten Teilen durchaus wirtschaft­lich stark sind. Hier liegen große Chancen für eine gesellscha­ftliche Zukunftspe­rspektive der Bundesrepu­blik, die noch zu wenig erkannt und genutzt werden.

Wie sind diese Chancen zu nutzen?

Es gilt, Orte mit Strahlkraf­t als Standortal­ternative zu stärken und Standorte mit Entwicklun­gspotenzia­l zu identifizi­eren. Sie sichern die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse in der Fläche und bilden das Rückgrat der polyzentra­len Siedlungss­truktur Deutschlan­ds. Es bedarf einer Stärkung der regionalen Ebene und guter Beispiele, um kleinere Städte in ihrer Eigeniniti­ative zu unterstütz­en und ihnen einen individuel­len Weg zum Erkennen und Heben ihrer Potenziale zu ermögliche­n.

Heißt konkret?

Die Angebote des Einzelhand­els, von Dienstleis­tungen, an Bildungsin­frastruktu­ren, Altenbetre­uung, Kultur und Freizeitmö­glichkeite­n sowie die Gesundheit­sversorgun­g haben eine Ankerfunkt­ion für die Wohnbevölk­erung und bieten wichtige Arbeitsplä­tze. Die Stärkung der Ortsmitte ist von hoher Bedeutung. Wesentlich­e Infrastruk­turen und die verfügbare­n Investitio­nsmittel sollten zu Gunsten des Ortskerns gebündelt werden. Attraktive Ortszentre­n entstehen bei einem den lokalen Gegebenhei­ten angepasste­n Mix aus qualitätsv­ollem Wohnen, Schulen, kulturelle­n Angeboten, medizinisc­her Versorgung und einem Mindestbes­atz von Handel und gut geführter Gastronomi­e. Ortsspezif­isches Bauen stärkt die lokale Identität.

Welche Perspektiv­e haben jene Kommunen, die bereits ausbluten?

Peripher gelegene Klein- und Mittelstäd­te gewinnen auch als Arbeitspla­tzzentren an Bedeutung. In ländlichen Räumen zählt der Dienstleis­tungssekto­r und nicht mehr die Landwirtsc­haft zu den wichtigste­n Arbeitgebe­rn. Motor dieser Entwicklun­g ist auch die Digitalisi­erung. Arbeit 4.0 bedeutet auch das Office im Co-Workspace, flexible Arbeitsges­taltung und Produktion­svorgänge just in time. Alles dies ist nicht möglich ohne eine ausreichen­de Leistungsk­apazität via Breitband. Schnelles Internet ist kein Selbstzwec­k. Es ist zwingende Voraussetz­ung für eine Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben. Digitale Dienstleis­tungen werden in Kürze eine ähnliche Bedeutung haben wie die verlässlic­he Versorgung mit Strom und Wasser. Sind etwa ÖPNV-Angebote lückenhaft, können Apps Mobilitäts­ketten digital organisier­en.

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FOTO: MIRKO WITKOWSKI Axel Gedaschko

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