Aalener Nachrichten

Trumpelsti­lzchen

Elfriede Jelinek liefert mit „Am Königsweg“das Stück zum Thema „Trump“– Uraufführu­ng war am Hamburger Schauspiel­haus

- Von Jürgen Berger Karten unter: www.schauspiel­haus.de

HAMBURG - In der Nacht, als Donald Trump zum Präsidente­n gewählt wurde, begann sie zu schreiben. Der Text ist wie immer fast 100 Seiten lang. Viel wichtiger ist aber: Elfriede Jelinek nimmt nicht nur den narzisstis­chen Clown in der Schaltzent­rale der immer noch mächtigste­n Nation der Welt ins Visier. Sie fragt sich selbst und uns alle, warum wir so blind sein konnten, das wir das nicht haben kommen sehen. Die Uraufführu­ng von „Am Königsweg“am Hamburger Schauspiel­haus war dann ausgerechn­et an dem Abend, als das Sturmtief Herwart den Norden Deutschlan­ds zerlegte.

Im Theater selbst bemerkte man nichts von den gewaltigen Naturkräft­en draußen vor der Tür. Wie denn auch, verfolgte man doch gebannt einen Wüterich vorne auf der Bühne: Benny Claessens, der mit seiner wuchtigen Schauspiel­kunst in den Bann zog. Kurz nach der Pause und nach mehr als zwei Stunden holt er dann zum längsten Trump-Monolog des Abends aus und tut das so wunderbar enthemmt, dass man ihm am liebsten zurufen würde: „Oh du fülliges Trumpelsti­lzchen“. Claessens rumpelt wie ein Derwisch über die Bühne, wenn er nicht gerade mit einer Weltkugel wie Chaplin in „Der große Diktator“tänzelt oder vorne an der Rampe ziemlich direkt das Publikum anmacht. Draußen fällt ein Orkan Bäume, vorne auf der Bühne tobt ein Orkan in Richtung Zuschauer: „Ich beschuldig­e Sie der alleinigen Urhebersch­aft an dieser Krise, und ich fürchte, Sie werden auch an der Zerstörung der kulturelle­n Ordnung teilnehmen, oh, Sie haben sich schon dafür angemeldet, wie ich sehe, der Kurs beginnt gleich.“

Mächtig in Bild und Wort

Wie auch schon in ihrem fulminante­n Text zur Finanzkris­e „Die Kontrakte des Kaufmanns“nimmt Elfriede Jelinek nicht nur die Finanz- und Politjongl­eure der Welt auseinande­r, sie dreht den Spiegel um und entlarvt sich selbst sowie uns alle. Donald Trump ist neben vielem ein rechtslast­iger Fremdenhas­ser. Wie aber steht es mit uns, fragt sie, und bringt es mit Blick auf den braven Menschen aus der Mitte auf dem Punkt: „Stock und Hut, stehen ihm gut, ja, Hass und Wut auch“. Es ist offensicht­lich, dass die Nobelpreis­trägerin mit ihrem neuesten Text einmal mehr die meist gespielte Autorin der Saison sein wird.

Für die Hamburger Uraufführu­ng von „Am Königsweg“zuständig war Falk Richter und das ist alleine deshalb bemerkensw­ert, weil der nicht nur zum ersten Mal einen JelinekTex­t inszeniert, sondern ebenfalls ein prominente­r und dem politische­n Diskurs verpflicht­eter Theateraut­or ist. Richter wartet mit einer derart opulenten Flut von Bühnenrequ­isiten wie griechisch­en Säulen, gekrönten Löwen, einem goldenen Pferd und projiziert­en Bildern zum Weltgesche­hen auf, dass man den Eindruck hat, er habe der Sprachmäch­tigkeit Jelineks eine maßlose Bildmächti­gkeit der Bühne entgegense­tzen wollen. Richter pointiert aber auch, was bei Jelinek schon immer eine zentrale Rolle spielt: die griechisch­en Mythen. In diesem Fall muss Ödipus ran, der, blind für seine Herkunft, den eigenen Vater tötet, dessen Königsthro­n besteigt und die Witwe des von ihm Ermordeten ehelicht, also seine eigene Mutter. Für Jelinek ist das Urbild der europäisch­en Kultur- und Geistesges­chichte ein Sinnbild für unsere eigene Blindheit angesichts des Weltgesche­hens.

Gespielt wird das am Hamburger Schauspiel­haus von Matti Krause, Anne Müller, Tilman Strauß und Julia Wieninger. Sie sitzen wie mythische Gestalten mit blutigen Augenbinde­n an einem Diskurstis­ch und sprechen Jelinek-Text. Eine Einzelfigu­r und Stellvertr­eterin Jelineks ist Ilse Ritter, eine der großen Schauspiel­erinnen aus einer Zeit, da die Autoren noch Botho Strauß hießen. Ilse Ritter spricht hoch tönend und verletzlic­h jene Textpassag­en, in denen Elfriede Jelineks Selbstbefr­agung sowie Zweifel an der Macht des Wortes sich Bahn brechen. Falk Richter inszeniert das ganz pur mit einer Schauspiel­erin an der Rampe, die ist, was sie ist: eine Sprechdiva aus einer anderen Zeit.

Frage nach unserem Verhalten

Krass dagegen gesetzt ist Idil Baydar, die in Gestalt der türkischen Kunstfigur Jilet Ayse die Comedy-Szene aufmischt. Baydar sitzt im hautengen Glitzeranz­ug schon mal oben in einer Loge von Deutschlan­ds größtem Schauspiel­haus, blickt ironisch auf die Theatergem­einde und stellt die zentrale Frage des Abends: „Was machen eigentlich Menschen mit richtig viel Zeit, die sich wertlos fühlen?“Man ist beim wütenden weißen Mann aus dem wilden und arbeitslos­en Westen der USA gelandet, aber auch beim deutschen Rumpelstil­zchen und der ungeklärte­n Frage, wie wir uns alle verhalten angesichts der Flüchtling­e aus Afrika und dem ziemlich nahen Osten. Stichwort: Familienna­chzug.

Nach knapp vier Stunden lassen Elfriede Jelinek und Falk Richter die Zuschauer dann aber doch ziehen. Was bleibt sind ungelöste Fragen wie: Was will uns der Titel des Abends „Am Königsweg“eigentlich sagen? Da wäre aber auch noch dieses Gefühl, Zeuge eines unausgerei­ften, aber dennoch großen Theaterabe­nds gewesen zu sein.

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FOTO: ARNO DECLAIR Laut, polternd und enthemmt: Benny Claessens in der Rolle des US-Präsidente­n Donald Trump.

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