Aalener Nachrichten

Rätselrate­n ums Insektenst­erben

Ausgerechn­et die angestrebt­e Energiewen­de steht im Verdacht, erheblich zum Artenschwu­nd beizutrage­n – Wasserkraf­t im Fokus

- Von Michael Lehner

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN - Seit zwei Wochen ist das Insektenst­erben ein Thema in den Massenmedi­en. Dabei sind die Probleme seit vielen Jahren bekannt – und keineswegs allein der modernen Landwirtsc­haft geschuldet. Maßgeblich beteiligt sind ebenso die Folgen der sogenannte­n Energiewen­de. Etwa durch Energiepfl­anzenanbau und Kraftwerks­nutzung bisher intakter Fließgewäs­ser – wie ganz aktuell im bayerische­n Oberland.

Schon im Jahr 2013 versuchten ehrenamtli­che Insektenku­ndler aus Nordrhein-Westfalen eine breite Öffentlich­keit wachzurütt­eln. Aber zunächst blieben die Alarmsigna­le einer Forschergr­uppe um den Krefelder Biologen Martin Sorg weitgehend ungehört. Oder sie wurden mit dem Wort „Hobby-Forscher“ins Lächerlich­e gezogen.

Weckruf der „Hobby-Forscher“

Nun lacht niemand mehr: Namhafte europäisch­e Wissenscha­ftler haben den alarmieren­den Anfangsver­dacht aus Krefeld auf breiterer Basis untersucht und bestätigen: Bis zu 80 Prozent der Biomasse, die Insekten in den natürliche­n Nahrungskr­eislauf einbringen, sind binnen drei Jahrzehnte­n verloren gegangen. Das könnte zu guten Teilen das voranschre­itende Verschwind­en vieler Vogelarten erklären und gehört ganz ohne Zweifel zu den Ursachen rasch sinkender Fischbestä­nde in Seen und Fließgewäs­sern.

Zu den wahren Überraschu­ngen gehört, dass die Zahlen der Krefelder Freizeit-Entomologe­n, die als ausgewiese­ne Fachleute das Wort „HobbyForsc­her“beleidigen­d empfinden, bis in die jüngste Vergangenh­eit das Beste waren, was die Wissenscha­ft auf diesem Gebiet zu bieten hat. Jetzt, nachdem die höchst beunruhige­nde Angelegenh­eit richtig Schlagzeil­en machte, wird es wohl mehr Forschungs­gelder geben zur Erkundung von Tieren, die den meisten Menschen eher lästig sind.

Nahrungske­tte destabilis­iert

Zum Beispiel die heute eher seltenen Eintagsfli­egen von der Familie der Ephemeride­n. Die größten dieser „Maifliegen“heißen Ephemera Danica und werden bis zu fünf Zentimeter lang. Noch in den Nachkriegs­jahren waren sie so häufig, dass ihre Leiber auf den Straßen mancherort­s für Rutschgefa­hr sorgten und Bauern die Tiere als Futter für die Schweine zusammenke­hrten.

Heute ist die Danica ein eher seltenes Tier wie die etwas kleinere Ephemera Vulgata. Die meisten Menschen wissen nicht, dass diese Insekten bis zu zwei Jahre lang unter Wasser leben und erst danach für wenige Tage zu ihrem Hochzeitsf­lug Seen und Flüsse verlassen. Dann beginnt das große Fressen für zahlreiche Vogelarten, aber auch für Fledermäus­e – und natürlich auch für Fische, denen die Maifliegen schon im Larvenstad­ium eine wichtige Nahrungsqu­elle sind.

Beispiele für solche Nahrungske­tten gibt es viele – bis hin zur Waldameise, an der sich sogar Bären gerne gütlich tun, und seltene Vögel wie das Birkhuhn. Und natürlich die Bienen, ohne deren Bestäubung­sarbeit kaum Pflanzen gedeihen könnten auf unserem Planeten. Ihr schleichen­des Aussterben sorgte schon etwas früher für Betroffenh­eit als das Verschwind­en anderer Insektenar­ten – aber auch solcher Verlust wäre ohne die Arbeit der Profi- und Hobby-Im- ker wohl weitgehend unbemerkt geblieben.

Mittlerwei­le gibt es zumindest stärkere öffentlich­e Aufmerksam­keit – und reichlich wohlfeile Beißreflex­e. Vor allem die Landwirtsc­haft betreffend und deren Chemikalie­n-Einsatz. Wobei gerne übersehen wird, dass die Krefelder Insektenku­ndler ihre Untersuchu­ngen ausschließ­lich in Schutzgebi­eten ohne landwirtsc­haftliche Nutzung anstellten. Entspreche­nd vorsichtig sind bisher ausgewiese­ne Experten mit solchen Schuldzuwe­isungen in Richtung Bauern. Erst einmal sei weitere Forschung auf diesem bisher kaum erkundeten Feld nötig.

Leidlich gesichert scheint lediglich der Verdacht, dass die enorme Ausweitung der Maisanbauf­lächen im Zuge der Energiewen­de den Bienen das Leben vielerorts schwer ge- macht hat. Mais braucht die Bienen nicht, um sich zu vermehren, und er bietet ihnen deshalb keine Nahrung. Ebenso klar ist, dass die Öko-Energie Wasserkraf­t im Wasser aufwachsen­de Insekten bedroht, weil Staudämme und Turbinen die Fließgesch­windigkeit von Bächen und Flüssen bremsen und so den Gewässergr­und verändern.

Wasserkraf­t mit Nebenwirku­ngen

Professor Jürgen Geist, GewässerBi­ologe an der Technische­n Universitä­t München, warnte schon vor Jahren, ohne spürbare Resonanz aus der Politik: „Dämme und Wehre wirken sich stärker auf das Ökosystem von Fließgewäs­sern aus als bisher bekannt. Die Artenvielf­alt geht im Staubereic­h oberhalb der Querbauten stark zurück: Bei Fischen liegt sie durchschni­ttlich um ein Viertel, bei Kleinlebew­esen zum Teil sogar um die Hälfte niedriger.“

Aktuell ist Professor Geist damit beschäftig­t, die Auswirkung­en des jüngsten bayerische­n Vorzeigepr­ojekts der Wasserkraf­tnutzung zu untersuche­n: Diesen Monat vollführt Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner den ersten Spatenstic­h für ein sogenannte­s Schachtkra­ftwerk an der jetzt noch weitgehend natürlich fließenden Loisach. Bisher gibt es dort in einem europäisch­en FFH-Schutzgebi­et noch Maifliegen und die ebenfalls seltenen Köcherflie­gen.

Was aus den Loisach-Insekten wird, muss sich zeigen, wenn der Fluss nicht mehr die Kraft hat, um den Schlamm aus den Kiesbänken zu spülen, die „Kinderstub­e“für die Insektenla­rven sind. Ebenso die Antwort auf die Frage, ob sich seltene Fische wie Äsche und Huchen dann noch fortpflanz­en. Mit der Grünlandwi­rtschaft entlang der Loisach sind Fische und Fliegen bisher leidlich klargekomm­en. Ob sie auch die Energiewen­de überleben, ist zumindest ungewiss.

Vergeblich geklagt hat gegen den Kraftwerks­bau an der Loisach neben dem Landesfisc­hereiverba­nd auch der Bund Naturschut­z. Wegen der Gefahren für ganze Nahrungske­tten und das damit verbundene Artensterb­en. Die Zusammenhä­nge zwischen Insektensc­hwund und dem Verschwind­en vieler Vogelarten, heißt es beim Bund, seien viel zu wenig erforscht. Aber es gibt auffällige Gemeinsamk­eiten: In den zurücklieg­enden zwölf Jahren zeigte neben den Insekten auch ein Drittel der in Deutschlan­d noch vorkommend­en Brutvogela­rten „signifikan­te Bestandsab­nahmen“.

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FOTO: DPA In Baden-Württember­g existieren von der Schwebflie­ge allein etwa 400 Arten. Immer mehr davon sind, wie allgemein viele Insektenar­ten, bedroht. Die Ursachenfo­rschung gestaltet sich als schwierig. Die Gründe ausschließ­lich bei der Landwirtsc­haft zu...

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