Aalener Nachrichten

Pfarreien sind laut Abt mit Seelsorge überforder­t

Welche Rolle die Benediktin­er spielen können, wurde auf Münchner Tagung diskutiert – Erzbistum erwartet Rückgang um bis zu 40 Prozent – Zusammenar­beit mangelhaft

- Von Ernst Dohlus

MÜNCHEN (KNA) - Die Mutter war 80 Jahre lang fleißige Kirchgänge­rin. Doch nach ihrem Tod fand der Pfarrer keine Zeit für ein Requiem. Der Sohn zog daraufhin die Konsequenz­en: Er trat aus der Kirche aus. Der Erzabt der Benediktin­er von Sankt Ottilien, Wolfgang Öxler, erzählt diese Geschichte gern als Beispiel. Im Gegensatz zu den überforder­ten Seelsorger­n in den Pfarreien sieht er seine Benediktin­erklöster als Orte, wo Menschen jederzeit mit ihren Problemen kommen können. Die Benediktin­er, sagt Öxler, müssten nicht irgendwo hingehen, um Leute zu erreichen: „Es genügt, für sie da zu sein.“

Das klingt gut. Doch in der Erzdiözese München und Freising mit ihren 1,7 Millionen Katholiken gibt es nun mal über 700 Pfarreien, aber nur vier Benediktin­erklöster. So mühen sich in der Fläche weiter 300 Weltpriest­er, 600 Pastoral- und Gemeindere­ferenten und 200 Ordensgeis­tliche, die Gläubigen ortsnah als Seelsorger zu erreichen. Franziskan­er, Jesuiten, Salesianer sind in kleinen Konventen im Pfarrverba­nd tätig oder in der sogenannte­n Kategorial­seelsorge als Studenten- oder Krankenhau­s-Seelsorger. Die Benediktin­er bleiben gemäß der Regel des heiligen Benedikt immer in ihrem Kloster.

„Seelsorge anders? Das Potenzial der Klöster“lautete das Thema einer Tagung der Katholisch­en Akademie in Bayern Anfang November in München. Dort stellten Benediktin­er vor, was sie für die Seelsorge leisten können. Mehr als 600 gibt es in Deutschlan­d in 29 Klöstern. Sankt Ottilien, das größte, hat 90 Mitglieder. Sankt Stephan in Augsburg zwölf, Bruder Jakobus aus dem Kloster Beuron lebt allein in einer Klause am Bodensee.

Niedrigsch­wellige Angebote

Dass Menschen ohne Angst ins Kloster kommen, in den Klosterlad­en gehen, am Stundengeb­et teilnehmen, das seien niedrigsch­wellige Seelsorgea­ngebote, ist Erzabt Wolfgang überzeugt. Bruder Jakobus sieht benediktin­ische Seelsorge auch darin, im öffentlich­en Raum für Menschen außerhalb der Kirche religiöse Angebote zu machen: eine Ausstellun­g über Mystik im staatliche­n Museum etwa, das Mitwirken an einer Landesgart­enschau sowie Angebote für Kinder.

In der Abtei Plankstett­en wird genau berechnet, wie viel CO2-Emissionen entstehen, wenn der Pfarrer zur Messe in die Filialkirc­he fährt oder umgekehrt die Gläubigen in die zentrale Pfarrkirch­e kommen. Seelsorge als Gegenstand ökologisch­er Überlegung­en zum Erhalt der Schöpfung ist hier das Thema. Sankt Stephan in Augsburg zeigt sich offen für jeden, der kommt und bereit ist, dem Mönch Vertrauen zu schenken. Wichtig sei es, dem Ratsuchend­en nicht als Besserwiss­er entgegenzu­treten, meint Abt Theodor Hausmann, sondern für das Vertrauen dankbar zu sein und mit dem Menschen auf Augenhöhe zu sprechen.

In den Niederland­en, wo nur noch gut 40 Prozent der Menschen sich zu einer Religion bekennen und es in einer Stadt von der Größe Augsburgs nur zwei Pfarrgemei­nden gibt, hat der Benediktin­er Thomas Quartier einen radikal anderen Ansatz entwickelt. Dem Professor für Liturgisch­e und Monastisch­e Spirituali­tät an der Radboud Universitä­t Nijmegen und Katholisch­en Universitä­t Löwen geht es vor allem auch um das Kloster als Vorbild für Pfarrgemei­nden. Eine Kerngemein­de mit fester Zeitstrukt­ur und Stundengeb­et kann ein Magnet sein, der andere Gläubige anzieht und neue Kerne der Gläubigkei­t schafft. Das Erzbistum München und Freising erwartet, dass in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Seelsorger um bis zu 40 Prozent abnehmen werde, hieß es. Bei den Männerorde­n dürfte sich die Mitglieder­zahl bei etwa 4000 halten.

Welche Rolle können aber die Frauenorde­n in der Seelsorge spielen? Allein die Benediktin­erinnen haben 27 Klöster in Deutschlan­d. Doch die Zahl ihrer Mitglieder, heute knapp 16 000, nimmt jährlich um etwa 1000 ab. Das Durchschni­ttsalter liegt bei über 80 Jahren.

Schlechte Zusammenar­beit

Angesichts des Mangels an Seelsorger­n mag überrasche­n, dass Bistümer und Orden nicht besser zusammenar­beiteten. Stattdesse­n bekriegten sie sich teilweise in kleinlich, formalisti­schen Fehden, war zu hören. Pfarrämter monierten, dass Klosterang­ehörige tauften, obwohl sie das nicht dürften. Dass ein Abt die Schüler seiner zum Orden gehörenden Schule firmen will, gefällt dem einen oder anderen Bischof auch nicht. Die Benediktin­er aber lassen sich nicht unterkrieg­en. Sie vertrauen auf ihr Potenzial und darauf, dass immer jemand im Kloster da ist und sich die Zeiten der Stundengeb­ete nicht ändern.

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FOTO: DPA In formalisti­schen Fehden bekriegen sich teilweise Bistümer und Orden. Den Pfarrämter­n gefällt nicht, dass Klosterang­ehörige taufen, obwohl sie das angeblich gar nicht dürfen.

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