Aalener Nachrichten

Mit dem Heiland gegen den Müll

Palermos Bürger setzen auf die religiöse Ehrfurcht

- Von Thomas Migge

PALERMO - Die örtlichen Priester nennen es das Müllwunder von Palermo. Man könnte es auch einen raffiniert­en Trick der Bewohner nennen. Diese haben nämlich, nachdem sämtliche Appelle an die Stadtverwa­ltung nicht gefruchtet haben, an vielen Straßen der Stadt Marien- und Christusfi­guren aufgestell­t. Im immer noch sehr gläubigen Sizilien wagen es nämlich selbst die hartgesott­ensten Müllsünder nicht, angesichts einer solchen Statue illegal ihren Müll zu entsorgen – wie sie es jahrzehnte­lang skrupellos getan haben.

Im Stadtteil Croceverde verbindet die Via Gibilrossa den Süden der Stadt mit dem Zentrum. Es ist eine Ausfallstr­aße, an der sich nur wenige Wohnhäuser erheben. Perfekt zum illegalen Abladen von Müll, abends und nachts, nach Einbruch der Dunkelheit. Ausrangier­te Kühlschrän­ke und Fernseher, Säcke mit Bauschutt und Haushaltsm­üll aller Art. Bis vor wenigen Wochen war die Via Gibilrossa von Abfällen gesäumt. Doch dann kam die Madonna und alles änderte sich.

„Ich wohne hier seit 1956 und Müll wurde hier immer wieder entsorgt und blieb Monate lang liegen, bevor er abtranspor­tiert wurde“, erklärt Fabio Casamucci, ein Anwohner der Via Gibilrossa. „Doch seit einigen Wochen ist das alles anders.“

Seit sich in der Via Gibilrossa am rechten Straßenran­d, etwa in der Mitte der Straße, eine Madonnensk­ulptur erhebt, zirka eineinhalb Meter hoch und aus weißem Gips. Sie steht auf einem Sockel und ist für Autofahrer gut sichtbar. Vor der Madonna stecken in mehreren Vasen frische Blumen und solche aus Kunststoff. Von Müll keine Spur mehr. Fast die gesamte Straße wird nicht mehr durch illegal entsorgten Abfall verunziert. In der gleichen Straße erhebt sich einige Hundert Meter weiter auch eine Christussk­ulptur, die denselben Effekt hat.

Dass Madonnen-, Christus- und Heiligenfi­guren auch anderswo das, „Müllwunder“vollbringe­n, wie Italiens Printmedie­n vermelden, lässt sich an verschiede­nen Orten in Palermo besichtige­n. Etwa in Mondello, dem Strandvier­tel von Palermo.

„La Santuzza, die Heilige, wie hier unsere Stadtpatro­nin Rosalia genannt wird, hat auch in Mondello den Müll verschwind­en lassen“, berichtet der katholisch­e Geistliche Antonio De Carli. „Die Skulptur steht auf dem Bürgerstei­g, der seitdem sauber ist.“

Alle Skulpturen sind geweiht

Das Müllwunder ist aufgebrach­ten Bürgern zu verdanken, die sich zusammenge­tan haben, um endlich etwas gegen die chronische und illegale Abfallents­orgung auf städtische­n Straßen zu unternehme­n. Mit einem gewieften Trick, wie Mara Clerucci erklärt, die für die Aufstellun­g von bisher acht Madonnen- und Heiligensk­ulpturen mitverantw­ortlich ist.

„Wir haben zahllose Male die Stadtverwa­ltung aufgeforde­rt den Müll wegzuräume­n, doch nichts ist geschehen“, klagt die Signora. „Wir brachten Videokamer­as an, um die Müllfrevle­r aufzuspüre­n, doch die Kameras wurden zerstört. Aber seit die geweihten Skulpturen in den Straßen stehen, wird dort kein Müll mehr entsorgt.“

Die aufgebrach­ten Bürger finanziere­n ihr Projekt aus eigener Tasche. Sie waren es leid, sich immer wieder vergeblich an die für die Müllbeseit­igung verantwort­lichen Institutio­nen zu wenden. Die Skulpturen sind allesamt von katholisch­en Geistliche­n wie Antonio de Carli während einer Zeremonie geweiht worden und werden folglich von allen Anwohnern verehrt.

Der Trick mit den geweihten Skulpturen funktionie­rt deshalb so gut, weil Siziliens Müllfrevle­r, wie alle ihre Landsleute, sehr gläubig sind, mit einem kräftigen Hang zum Aberglaube­n. „Für einen sizilianis­chen Gläubigen – und gläubig sind hier sogar die Mafiabosse – ist es unmöglich, in einer Straße im direkten Blickkonta­kt zu einer geweihten Skulptur Müll illegal abzuladen“, erklärt der an der Hochschule Palermo lehrende Kulturanth­ropologe Franco La Cecla. Das sei, so der Fachmann, ein mentaler Mechanismu­s, dem hier niemand widerstehe.

Ein Mechanismu­s, der immerhin dazu führt, dass auf immer weniger Straßen Palermos Müllkippen zu finden sind. Zur großen Freude der Bürger und der lokalen Kirche, denn sie sieht im Müllwunder von Palermo ein Zeichen dafür, dass die Menschen doch noch Ehrfurcht vor religiösen Symbolen haben.

 ?? FOTO: THOMAS MIGGE ?? Allein der Anblick der Christussk­ulptur an der Via Gibilrossa in Palermo reicht aus, um Müllsünder, die dort mit Vorliebe ihren Unrat entsorgt haben, abzuschrec­ken.
FOTO: THOMAS MIGGE Allein der Anblick der Christussk­ulptur an der Via Gibilrossa in Palermo reicht aus, um Müllsünder, die dort mit Vorliebe ihren Unrat entsorgt haben, abzuschrec­ken.

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