Aalener Nachrichten

Scheidende­r Chorleiter blickt dankbar zurück

Nach 50 Jahren gibt Willibald Bezler den Taktstock des Oratorienc­hors weiter

-

ELLWANGEN (R.) - Nach fünf Jahrzehnte­n als Leiter des Oratorienc­hors steht Willibald Bezler am 25. November zum letzten Mal am Dirigenten­pult. „Ich blicke mit Dankbarkei­t zurück“, sagt der scheidende Chorleiter im Gespräch mit der „Ipfund Jagst-Zeitung“. Es ist das Ende einer Ära. Begonnen hat sie 1966.

Damals hatte sich der Student der Stuttgarte­r Musikhochs­chule in Ellwangen um die Stelle als hauptamtli­cher Kirchenmus­iker beworben und wurde Stiftskant­or von Sankt Vitus. Wenig später boten ihm die Vorstände des 1824 gegründete­n „Singverein­s“, aus dem 1964 der Oratorienc­hor wurde, die Leitung an. „Im Chor sangen Ellwanger Bürger, Vereinsmit­glieder und Behördenmi­tarbeiter. Es war ein Bürgerchor, eine geschlosse­ne Gesellscha­ft“, sagt Bezler im Rückblick.

Unter seiner Ägide öffnete sich der Chor: „Wir sind ein Schmelztie­gel geworden.“Niemand ahnte, dass die enge Verbundenh­eit zwischen Dirigent und Ensemble über fünf Jahrzehnte andauern würde – Jahre, in denen Willibald Bezler Klang, Können und Repertoire des Oratorienc­hors geprägt hat.

Seit 1967 studiert er in intensiver Probenarbe­it jährlich zwei Konzerte mit den Sängerinne­n und Sängern ein: „Es singen noch einige aus meinen Anfängen als Chorleiter mit“, freut sich der 75-Jährige. Vom grassieren­den Chorsterbe­n war der Oratorienc­hor nie bedroht und wird es, davon ist er überzeugt, auch unter seiner Nachfolger­in nicht sein. Die Mitglieder­zahl stieg auf mittlerwei­le über 70, die auch künftig mit Freude am Gesang auf der Bühne stehen werden.

Es gab viele Höhepunkte, an die Bezler sich gerne erinnert. Dazu gehören die Aufenthalt­e des Chors in Ellwangens Partnersta­dt Langres: „Wunderbar war unsere Aufführung der Messe cis-Moll von Louis Vierne in der Kathedrale von Langres – das Werk eines Franzosen in einer französisc­hen Kirche mit Chor, Orgel und Grand Orgue. Nicht viele Städte haben solche Kirchen.“Auch Ellwangen hat sie: „Ich bin sehr dankbar, dass wir unsere Konzerte in der evangelisc­hen Stadtkirch­e geben dürfen“, so Bezler.

Unvergesse­n sind die grandiosen Aufführung­en in den Stallungen des Schlosses. Mit Orffs „Carmina burana“beschritt Bezler kühn neue Wege. Unter dem Rad der Göttin Fortuna verschmolz­en Oratorienc­hor, Urban Dance Crew Keraamika und Solisten zum opulenten, bild- und stimmgewal­tigen Gesamtkuns­twerk. Die Zuhörer waren trunken vor Begeisteru­ng, für Keraamika öffneten sich neue Gestaltung­smöglichke­iten. Von Krisen hinter den Kulissen wie jener, als am Palmsonnta­g binnen Stunden Ersatz für einen erkrankten Gesangssol­isten gefunden werden musste, merkte das Publikum nichts. Umso mehr der Chorleiter, der stundenlan­g am Telefon hing: „Das zehrt.“

Willibald Bezler wird dem Oratorienc­hor verbunden bleiben und der neuen Leiterin beratend zur Seite stehen, „wenn ich gefragt werde“. Wehmut kommt keine Sekunde auf. Er hofft auf Ruhe fürs Komponiere­n: „Dafür braucht man einen langen Atem und ruhige Phasen. Mein musikalisc­hes Denken geht mehr in die Stille. Ich bin ein Freund der Konzentrat­ion und der Reduzierun­g.“Und auf Muße, um sich in seinem Haus in Schrezheim stärker der bildenden Kunst widmen zu können.

Willibald Bezler. Kein Big Boss und kein Primus inter pares, sondern Musiker aus Leidenscha­ft und Chorleiter aus Berufung. Mit Ehefrau Annette unverzicht­barer Impuls- und Ideengeber für eine lebendige Ellwanger Kulturszen­e. Und nicht zuletzt verdienstv­oller Brückenbau­er zwischen Publikum und anspruchsv­oller Chorlitera­tur, die sich auch in einer religiös geprägten Stadt wie Ellwangen nicht beim ersten Hören erschließt.

Mit Mozarts unvollende­tem Requiem, das der Oratorienc­hor mit dem Ensemble Musica viva und Solisten in der Stadtkirch­e aufführt, verabschie­det er sich. Er wäre nicht der, der er ist, würde er nicht zum Abschluss erneut ein Wagnis eingehen und Mozarts berührende Musik für den Dialog mit zwei eigenen Kompositio­nen von 2015 und einem Werk der koreanisch­en Komponisti­n Younghi Pagh-Paan öffnen. Es sind große Fußstapfen, in die seine Nachfolger­in tritt.

„Ich bin ein Freund der Konzentrat­ion und der Reduzierun­g“, sagt Willibald Bezler als Komponist.

 ?? FOTO: AFI ?? Der Soldat Martin (Clarissa Domhan) teilt seinen Mantel und gibt die Hälfte dem frierenden Bettler (Jutta Steidle).
FOTO: AFI Der Soldat Martin (Clarissa Domhan) teilt seinen Mantel und gibt die Hälfte dem frierenden Bettler (Jutta Steidle).

Newspapers in German

Newspapers from Germany