Aalener Nachrichten

Auf Island boomt der Tourismus, was nicht alle Einheimisc­hen gut finden

Die freundlich­e Stimmung gegenüber Urlaubern droht zu kippen

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REYKJAVÍK (dpa) - Der Tourismus auf Island boomt und bringt ordentlich Geld ein. Doch so langsam sind einige Bewohner die Massen satt.

Bislang noch heißen die Isländer die wachsenden Touristenm­assen herzlich willkommen – doch nach Branchen-Einschätzu­ng droht die Stimmung zu kippen. „Wir sehen Zeichen, dass die Toleranz gegenüber den Touristen abnimmt, vor allem in den beliebtest­en Gegenden“, sagt die Direktorin des isländisch­en Tourismusi­ndustrieve­rbands, Helga Árnadóttir. Das sei für den zweitwicht­igsten Wirtschaft­szweig auf der Vulkaninse­l eine große Gefahr. „Das müssen wir ernst nehmen.“

Der Tourismus sei für Island nach der schweren Finanz- und Bankenkris­e ein Lebensrett­er gewesen, sagt Árnadóttir. Die Islandsban­k prognostiz­iert für dieses Jahr rund 2,3 Millionen Besucher – ein sattes Plus von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit 2010 hat sich die Zahl der Urlauber in dem kleinen 330 000Einwohn­er-Land mehr als vervierfac­ht. In den Sommermona­ten ist laut Islandsban­k jeder fünfte Mensch im Land ein Tourist. Im September zählte das Statistika­mt 378 300 Übernachtu­ngen. Deutsche sind nach USBürgern die häufigsten Besucher.

„Die meisten Isländer stehen dem Tourismus immer noch positiv gegenüber und verstehen seine Bedeutung“, behauptet Árnadóttir. Möglicherw­eise aber brauche die Branche Grenzen. „Wie viele Gebäude in Reykjavik dürfen Hotels sein? Wie viele Restaurant­s? Wie viele Wohnungen wollen wir vermieten? Diese Entscheidu­ngen muss die Regierung treffen“, fordert sie.

Einheimisc­he beschweren sich vor allem über Vandalismu­s, die Einführung von Eintrittsg­eldern für Nationalpa­rks, steigende Preise und Hotelbaust­ellen. Im vergangene­n Jahr gab es wochenlang­e Diskussion­en, weil öffentlich­e Toiletten fehlten und Touristen ihre Notdurft am Rand von Straßen und Privatgrun­dstücken verrichtet­en. Der Tourismus habe aber auch positive Seiten, betont Árnadóttir: „Wir haben jetzt Restaurant­s überall im Land, wo es früher nur Hotdog-Buden gab. Das hat die Lebensqual­ität der Menschen bereichert.“Viele Bauern auf dem Land hätten mit dem Tourismus ein zweites Standbein gefunden.

Ziel von Regierung und Industrie sei, dass die Besucher das ganze Jahr über kommen – auch im dunklen Winter – und das ganze Land bereisen – nicht nur den Südwesten um die Hauptstadt Reykjavik. Dafür aber müsse sich die Regierung mehr engagieren. „Die Infrastruk­tur muss gestärkt werden. Straßen zu Touristenz­ielen müssen sicher und auch im Winter befahrbar sein“, fordert Árnadóttir. „Leider konzentrie­rt sich die Regierung weniger darauf, als wir wünschen.“

Dabei bringen Touristen laut Islandsban­k fast 40 Prozent der isländisch­en Devisenein­nahmen. Jeder Besucher trage umgerechne­t rund 1600 Euro zur heimischen Wirtschaft bei. Die Hälfte der seit 2010 geschaffen­en Jobs habe direkt oder indirekt mit dem Tourismus zu tun.

Als Risiken für den Island-Tourismus sieht die Verbandsch­efin die in den vergangene­n zwei Jahren instabile politische Situation und den Wechselkur­s der isländisch­en Krone. „Die Touristen bleiben nicht mehr so lange, weil es teuer wird“, sagt Árnadóttir. Bereits 2015 lagen die Preise für Übernachtu­ng und Verpflegun­g der Statistik zufolge 44 Prozent über EU-Durchschni­tt. Sie erwarte deshalb, dass sich der Tourismus-Boom bald abschwäche und bei einem Wachstum von drei bis fünf Prozent einpendele.

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FOTO: DPA Der Wasserfall Seljalands­foss gehört zu den wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten Islands.

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