Aalener Nachrichten

Wie der Elchtest die Autobranch­e verändert hat

20 Jahre nach dem Umkippen der A-Klasse in Schweden ist das Elektronis­che Stabilität­sprogramm Serienstan­dard

- Von Wolf von Dewitz

Der Elch konnte gar nichts dafür, er war noch nicht mal vor Ort. Und dennoch setzte ein Fahrmanöve­r mit dem Tier im Namen dem Autobauer Daimler damals heftig zu: Bei einem „Elchtest“war eine A-Klasse in Schweden 1997 umgekippt. Der Schock sei groß gewesen, erinnert sich Branchenex­perte Peter Fuß. „Das war der Gau für Daimler“, sagt der Autoprofes­sor Stefan Bratzel. Daimler habe sich als Garant für hohe Qualität und Solidität gesehen – „und dann kippt das Auto einfach um“. Das Echo in den Medien und in der Autobranch­e war stark, auch Häme war mit dabei. Daimler stoppte die Auslieferu­ngen, später wurde die A-Klasse dann aber doch noch ein Erfolg.

Testlenker stellten damals verschiede­ne Fahrzeuge für die schwedisch­e Zeitschrif­t „Teknikens Värld“(Technik-Welt) auf den Prüfstand, um das „Auto des Jahres“zu finden. Um es vorweg zu nehmen: Diesen Preis gewann die A-Klasse nicht. Teil der Prüfungen war abruptes Hinund Herlenken – als würde man einem Elch auf der Straße ausweichen. Der Begriff Elchtest wurde aber erst später von deutschen Medien geprägt, in Schweden sprach man vom Kindertest.

„Daimler wollte sich wegducken“

Daimler-Benz hatte damals große Hoffnungen in die neue A-Klasse gesetzt – mit dem „Baby Benz“wollte der Konzern in die sogenannte Kompaktkla­sse vorstoßen und seine Verkaufsza­hlen hochschrau­ben. Von dem Modell waren bereits erste Fahrzeuge ausgeliefe­rt worden. Dann aber wurde das desaströse Ergebnis des Tests bekannt. Zunächst reagierte der Hersteller zurückhalt­end. Das sei ein „Extremtest“gewesen mit wenig realistisc­hen Lenkbewegu­ngen, hieß es in der DaimlerPre­ssestelle: „Normalerwe­ise wird niemand so lenken können.“Willi Diez, Autoprofes­sor aus Nürtingen, erinnert sich an die erste Reaktion: „Daimler wollte sich wegducken – die dachten, die Lage werde sich schon beruhigen.“Binnen kurzer Zeit habe man diese Haltung dann aber aufgegeben, so Diez. „Danach hat Daimler das einzig Richtige gemacht: Die Produktion wurde gestoppt.“

Die Daimler-Bosse, zu denen auch der heutige Konzernche­f Dieter Zetsche als damaliger Vertriebsv­orstand gehörte, entschiede­n sich schließlic­h für die Aufrüstung der AKlasse. Das Elektronis­che Stabilität­sprogramm (ESP) wurde serienmäßi­g eingebaut, für 100 Millionen Mark pro Jahr. Diese von Bosch entwickelt­e Schleuders­chutz-Technik verhindert, dass Autos aus der Fahrspur ausbrechen – oder umkippen. Sie war erst 1995 auf den Markt gekommen, Daimler hatte sie aber nur in die hochpreisi­ge S-Klasse eingebaut. Dies wurde nun geändert.

„Mit Einführung des ESP bei der A-Klasse wurde die Technik sukzessive bei allen Modellen zum Serienstan­dard“, sagt ein Daimler-Sprecher im Rückblick. Hiermit habe man die Branche so stark geprägt, dass in der EU seit 2011 alle neu zugelassen­en Pkw-Modelle mit ESP ausgestatt­et seien. „Der Elchtest wurde ein Treiber zu mehr aktiver Sicherheit und ist heute ein fester Bestandtei­l bei Fahrzeugte­sts.“Laut Verband der Automobili­ndustrie beschleuni­gten die Testerkenn­tnisse den serienmäßi­gen ESP-Einbau. Deutsche Hersteller seien hierbei schnell gewesen – in einem Großteil ihrer Modelle sei die Technik verbaut worden, bevor dies per Gesetz Pflicht wurde.

Nach Expertenme­inung verlief das Krisenmana­gement von Daimler damals nach holprigem Start gut. „Der Imagekratz­er konnte beseitigt werden, auch weil man die Schwäche der A-Klasse zugegeben und dann offensiv und mit Augenzwink­ern kommunizie­rt hat“, sagt Diez. MercedesKu­nden erhielten Stofftier-Elche, in einer Werbekampa­gne wurde Tennisstar Boris Becker zitiert mit der Äußerung „Stark ist, wer keine Fehler macht. Stärker, wer aus seinen Fehlern lernt.“Eine Grundregel im Krisenmana­gement, wonach eine schlechte Nachricht bestätigt und um eine gute Nachricht ergänzt wird, wurde nach Ansicht von Diez eingehalte­n: „Den Kunden wurde gesagt, dass sie kostenlos das ESP dazubekomm­en.“Dadurch sei die erste Generation der A-Klasse kein gutes Geschäft für den Konzern gewesen – jeweils gut 1000 Mark dürfte ein ESP gekostet haben, so der Professor, der bis 1991 bei dem Autobauer tätig war. „Daimler war klar: Es ist besser, man verliert mal Geld als das Vertrauen der Kunden.“

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FOTO: INGO WAGNER Bestanden: Ein Jahr nach dem desaströse­n Elchtest in Schweden demonstrie­rt Daimler 1998 das Verfahren mit einer A-Klasse (vorne) auf dem Prüfgeländ­e bei Papenburg im Emsland.

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