VIRTUELLE WELTEN IN DER KUNST
Neue Ausstellung im Zeppelin Museum rückt Virtuelle Realität in den Blickpunkt
Illusion und Wirklichkeit in Friedrichshafen
FRIEDRICHSHAFEN - Wer sich eine Brille aufsetzt, will in der Regel besser sehen. Mit Virtual-Reality-Brillen ist es anders: Wer sich diese multimedialen Sehhilfen überstülpt, will der Realität entfliehen und in andere Welten eintauchen. Was diese Technologie mit der Kunst macht und mit dem Menschen, darum dreht sich die neue Ausstellung im Zeppelin Museum in Friedrichshafen. Unter dem Titel „Schöne Neue Welten – Virtuelle Realitäten in der zeitgenössischen Kunst“sind völlig unterschiedliche Arbeiten von 13 Künstlern zu sehen. Der Museumsbesucher ist dabei nicht nur Betrachter, sondern wird selbst zum Akteur.
Ausgerechnet den Roten Planeten hat sich Halil Altindere für seine VRInstallation „Journey To Mars“herausgesucht: Als Arnold Schwarzenegger 1990 im Filmklassiker „Total Recall“virtuelle Agentenabenteuer auf dem Mars erlebt, waren VirtualReality-Brillen noch etwas ziemlich Exotisches. Heute verschenkt Internetriese Google die Karton-Variante „Cardboard“, um die Masse an das Thema heranzuführen, und Mobilfunkanbieter bieten die optischen Erlebnisapparate im Paket mit Smartphones an, auf denen die entsprechende App den Zugang zu digitalen Parallelwelten ermöglicht. Wer sich im Zeppelin Museum die VRBrille aufsetzt, um Altinderes Kunstprojekt näherzukommen, findet sich ebenfalls auf dem Mars wieder. Der türkische Künstler gibt mit der Installation einen bitteren Kommentar zum Umgang Europas mit Flüchtlingen ab. Seine überspitzte Idee: Wenn niemand die Menschen aufnehmen will, werden sie eben per Raumschiff zum Mars verfrachtet. Und so begleitet der Zuschauer die Astronauten wider Willen auf den Roten Planeten, auf dem es ziemlich unwirtlich aussieht. Passenderweise begegnet der Zuschauer in der Installation auch dem früheren Kosmonauten Muhammed Ahmed Faris. Er ist der einzige Syrer, der jemals im Weltall war – heute lebt der Assad-Gegner als Flüchtling in Istanbul.
Um Syrien geht es auch in einem Film über das Kollektiv „Forensic Architecture“: Die Forschungsgruppe hat anhand von Erinnerungen Überlebender ein Foltergefängnis bei Damaskus mittels Virtueller Realität rekonstruiert. Wie US-Militärs VR-Simulationen zur Vorbereitung auf Kriegseinsätze, aber auch zur Behandlung von Traumata einsetzen, führen die „Serious Games“-Arbeiten des 2014 verstorbenen Filmemacher Harun Farocki vor Augen.
Das ist eine Stärke der Ausstellung, die von Ina Neddermeyer kuratiert wurde: Sie macht deutlich, wo heute schon mit VR gearbeitet wird – und widerlegt dabei das Klischee, dass Virtuelle Realität nur etwas für Videospiel-Nerds ist. Denn die Gamingbranche gehört zwar zu den treibenden Kräften im VR-Sektor, ist aber nur einer von vielen Einsatzbereichen – neben Medizin und Tourismus etwa.
Nicht nur mit politischen Themen beschäftigt sich die Ausstellung, sondern auch mit Gesellschaft und Zeitgeist. Welche Wichtigkeit und Aussagekraft haben Geschlechterrollen in artifiziellen Welten überhaupt noch? Und was passiert mit Erotik und Sinnlichkeit in Zeiten von VR? Die Pornobranche hat ein großes Interesse am VR-Boom, und entsprechende Inhalte gehören für viele Käufer einer VR-Brille zu den Kaufargumenten. Die dazugehörige Installation von Sidsel Meineche Hansen ist nicht jugendfrei (und entsprechend mit einem Ab-18-Hinweis versehen), provoziert aber zum Nachdenken über ethisch-moralische Implikationen – etwa, wenn man sich im Netz den digitalen Traumpartner selbst zusammenbasteln kann.
Spätestens hier wird klar, warum sich der Titel der Ausstellung an den Literaturklassiker „Schöne Neue Welt“von Aldous Huxley anlehnt. Die Zukunft kann ziemlich gruselig sein.
Gestalter in der Parallelwelt
Optisch am beeindruckendsten wirkt die eigens für die Ausstellung entstandene Installation „Pre-Alpha Courtyard Games (raindrops on my cheek)“von Florian Meisenberg. Hier wird der Zuschauer in einem raumgreifenden Konstrukt selbst zum Gestalter und kann in einem virtuellen Raum dreidimensionale Objekte erschaffen – dank modernster Technik mit bloßen Händen anstelle von Computercontrollern.
Dass der Mensch nicht erst mit der Virtuellen Realität neue Blicke auf die Realität entwickelt hat, veranschaulichen indes Stereoskop-Fotografien des frühen 20. Jahrhunderts, die was zeigen? Genau. Zeppeline. Wir sind hier schließlich in Friedrichshafen.