Junge Mitglieder wollen SPD aufmischen
Initiative „SPD plus plus“strebt Modernisierung der Partei an – und erhält viel Zuspruch
RAVENSBURG - Die Basis soll mehr Mitsprache erhalten: Mit diesem Versprechen will SPD-Chef Martin Schulz seiner Partei neues Leben einhauchen. Für Henning Tillmann, 32, Software-Entwickler und SPD-Mitglied aus Berlin, ist das nicht genug. „Wenn man über ,die Basis‘ spricht, dann meint man immer die 20 Prozent der Parteimitglieder, die in den Ortsverein kommen. Aber das reicht nicht. Wir wollen die anderen 80 Prozent erreichen.“Mit anderen jungen Genossen hat er die Initiative „SPD plus plus“gestartet. Das Ziel: Die Partei soll jünger, weiblicher, digitaler, vielfältiger werden.
Im Zuge des „Schulz-Hypes“im Bundestagswahlkampf sind 30 000 Neumitglieder in die SPD eingetreten, nach der Wahl weitere 4500. Nicht zuletzt diese Menschen haben Tillmann und seine Mitstreiter im Blick. „Wir wollen, dass sich SPDMitglieder in der Partei engagieren können, ohne zehn Jahre im Ortsverein die Kasse geprüft zu haben“, heißt es auf der Internetseite der Initiative.
Der Ortsverein – das ist das Rückgrat der SPD, mehr als 7500 davon gibt es zwischen Sylt und Oberstdorf. Wer in der Partei etwas werden will, muss die Ochsentour mit abendlichen Sitzungen in Gaststätte oder Dorfgemeinschaftshaus beginnen. Die unterste Parteiebene ist auch erste Anlaufstelle für Neumitglieder.
Das sei aber gerade für Interessierte, die beruflich oder familiär stark eingespannt sind, ein Problem, so Tillmann. „Das geht schon damit los, dass die Sitzung zu einer bestimmten Uhrzeit beginnt. Da kann nicht jeder.“Deswegen schlägt „SPD plus plus“Online-Foren vor, in denen sich Mitglieder deutschlandweit zu bestimmten Themen austauschen können, zeitunabhängig und auch zu spezialisierten Fachgebieten, für die es vor Ort sonst keine Ansprechpartner gibt. Diese Foren, so die Idee, sollen auch Delegierte zu Parteitagen entsenden und so über den Kurs der Partei mitbestimmen können. Das ist eine Kampfansage an den organisatorischen Mittelbau der Partei – jene Kreis- und Unterbezirksvorsitzenden, die bislang die Zusammensetzung von Parteitagen maßgeblich mitbestimmen. „Wir greifen niemanden an“, beteuert hingegen Tillmann. Die Foren sollen aber keine Online-Spielwiese sein, sondern „mit Macht ausgestattet“werden.
Reformbedarf sieht auch Luisa Boos, Generalsekretärin der Partei in Baden-Württemberg: „Es ist schon so, dass viele Mitglieder das Gefühl haben, dass die Willensbildung von unten nach oben nicht funktioniert und dass Initiativen verpuffen.“Als Beispiele für mangelnde Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen nennt sie die Beschlüsse der SPD zur Vorratsdatenspeicherung oder zu Freihandelsabkommen wie mit den USA und Kanada, in beiden Fällen habe ein Parteikonvent hinter verschlossenen Türen die Linie festgelegt.
Auch sonst finden Tillmann und seine Mitstreiter viel Zuspruch zu ihren Forderungen, zu denen etwa auch der häufigere Wechsel von Parteitagsdelegierten zählt. SPD-Vize Ralf Stegner hat sich hinter die Ziele von „SPD plus plus“gestellt. Auch die baden-württembergische Parteichefin Leni Breymaier findet die Initiative gut. „Alles, was mehr direkte Beteiligung unserer Mitglieder angeht – gerade auch online –, eine breitere und vielfältigere Aufstellung einfordert und das großartige Potenzial unserer Partei heben will, geht in die richtige Richtung.“
Ersetzt das Internet also künftig den SPD-Ortsverein? „Diese Gefahr sehe ich nicht“, sagt Georgios Giannopoulos, Vorsitzender der SPD in Ulm-West. „Wir müssen eine gesunde Mischung finden, und die gibt es bislang noch nicht.“Es sei wichtig, dass sich die SPD öffne und digitaler werde. „SPD plus plus“führt UlmWest als erste von mittlerweile über 60 Parteigliederungen auf, die Vorschläge der Initiative unterstützen.
Forderung nach Jugendquote
Umstrittener als eine Digital-Offensive ist die Forderung nach einer Jugendquote: Jeder fünfte Mandatsträger und jedes vierte Mitglied eines Parteigremiums soll jünger als 35 Jahre sein. Für Lukas Hornung ist das ein zentraler Punkt. Der 20-Jährige aus Friedrichshafen bewirbt sich für den Bundesvorstand der Jusos. „Die SPD hat sich ja schon öfters die Förderung junger Leute auf die Fahnen geschrieben, aber ohne Quote sind das nur leere Versprechen.“
Südwest-Generalsekretärin Boos, 33, sieht die Quote kritisch, räumt aber ein: „Wir haben ein großes Problem, was die Einbindung von Jüngeren angeht.“Tatsächlich findet sich in der neuen SPD-Bundestagsfraktion kein einziger Abgeordneter unter 30 Jahren, für den Landtag in Stuttgart gilt dasselbe. Er wolle „weiter daran arbeiten, dass die Partei in der Breite jünger und weiblicher wird“, verspricht SPD-Chef Schulz – eine Quote lehnt er aber ab. Mit der Wahl von Andrea Nahles zur Bundestagsfraktionschefin und der Berufung von Lars Klingbeil zum Generalsekretär sei man ja schon auf einem guten Weg. Nahles ist 47, Klingbeil 39 Jahre alt.