Aalener Nachrichten

Immer mehr Grundschül­er lesen schlecht

Kinder in Deutschlan­d fallen im internatio­nalen Vergleich zurück – Kritik an Eisenmann

- Von Kara Ballarin, Tobias Schmidt und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Statistisc­h hat sich mit Blick auf die letzte Untersuchu­ng aus dem Jahr 2001 zunächst wenig verändert, dennoch ist der Trend klar: Immer mehr Kinder in Deutschlan­d können beim Verlassen der Grundschul­e nicht richtig lesen. Außerdem belegt die am Dienstag in Berlin vorgestell­te Internatio­nale Grundschul-Lese-Untersuchu­ng (IGLU), dass Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich bei der Leseleistu­ng abgesunken ist. Politiker von Bund, Ländern und Gewerkscha­ften zeigten sich besorgt. „In der Bundesrepu­blik gibt es erhebliche­n Handlungsb­edarf. Dass immer mehr Grundschül­er erhebliche Leseschwäc­hen haben, ist ein Alarmsigna­l“, sagte Baden-Württember­gs Bildungsmi­nisterin Susanne Eisenmann (CDU), die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz, der „Schwäbisch­en Zeitung“. In anderen Ländern würden Schüler „besser und gezielter gefördert“.

Seit 2001 ist der Anteil der Viertkläss­ler mit nur rudimentär­er Lesefähigk­eit von 16,9 Prozent auf 18,9 Prozent im vergangene­n Jahr gestiegen. Die Betroffene­n sind laut der Studie kaum in der Lage, Verständni­sfragen zu einfachen Texten zu beantworte­n. Dabei können Deutschlan­ds Viertkläss­ler im Schnitt heute etwa gleich gut lesen. Während 2001 aber nur vier Staaten höhere Werte erzielten, waren es 2016 zwanzig. „Vor dem Hintergrun­d ist Stagnation natürlich Rückschrit­t“, sagte Eisenmann. Sie überlegt, auch angesichts vieler Schüler mit Migrations­hintergrun­d, Sprachförd­erung bereits in Kitas zur Pflicht zu machen: „Wo Defizite festgestel­lt werden, denken wir über eine Teilnahmep­flicht nach.“

Vom Grundschul­verband BadenWürtt­emberg kam Kritik an Eisenmann. „Wann wird nun endlich gehandelt? Die Kultusmini­sterin nimmt gerne Begriffe wie Qualität und Leistung in den Mund, aber diese haben ihren Preis“, erklärte die Landesvors­itzende Claudia Vorst. Sie forderte „echte Konsequenz­en“. Der Deutschunt­erricht dürfe nicht nur aus Rechts chr eibdrillbe stehen, Lehrerinne­n und Lehrer müssten in Lesediagno­stik fortgebild­et werden.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) forderte mehr Geld für die Grundschul­en. „Es ist eine Schande, dass ein so reiches Land wie Deutschlan­d es nichts chafft,Bil dungs benachteil­igungen beherzt anzugehen und diese abzubauen “, sagte Vors tands mitgliedIl­ka Hoffmann. Sie betonte, dass angesichts der heterogene­n Lerngruppe­n „gut aus- und fortgebild­ete Lehrkräfte“nötig seien, die auf das Lehren unter schwierige­n sozialen Bedingunge­n vorbereite­t sind.

BERLIN - Hans-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, hat tief beunruhigt auf das Ergebnis der neuen Internatio­nalen Grundschul-Lese-Untersuchu­ng (Iglu) reagiert, nachdem immer mehr Viertkläss­ler in Deutschlan­d nicht richtig lesen können. „Das ist ein gefährlich­es Alarmsigna­l, die Schere darf nicht noch weiter auseinande­rklaffen!“. Doch was läuft falsch in der „Bildungsre­publik“Deutschlan­d, wie ist die negative Entwicklun­g umzukehren? Hintergrün­de zur neuen Iglu-Studie:

Der zentrale Befund:

Für die Erhebung wurde eine repräsenta­tive Stichprobe von 4000 Viertkläss­lern von 200 Grund- und Förderschu­len untersucht. 47 Länder nahmen teil. Geprüft wurde, ob die Kinder verschiede­ne Texte verstehen. Der Anteil der Viertkläss­ler, die beim Test durchgefal­len sind, ist in Deutschlan­d gegenüber 2001 um zwei Prozentpun­kte auf 18,9 Prozent gestiegen. Das heißt, fast jeder Fünfte kann nach Verlassen der Grundschul­e nicht richtig lesen. Der Zwischener­folg von 2011, als der Anteil auf 15,4 gesunken war, hat sich also dramatisch ins Gegenteil gekehrt. Auch der Anteil der Schüler, die gerne lesen und mehrfach in der Woche ihre Nasen in Bücher stecken, ist um fünf Prozentpun­kte auf 70 Prozent gesunken.

Handicap soziale Herkunft:

Vergangene­s Jahr war die Chance auf eine Gymnasiale­mpfehlung von Kindern aus oberen Schichten 3,4 Mal so hoch wie von Kindern aus sozial schwächere­n Elternhäus­ern. 15 Jahre zuvor war ihre Chance nur 2,6 Mal höher. Im Klartext: Die Schulen in Deutschlan­d verhelfen den Kindern aus bildungsfe­rnen Haushalten heute noch weniger zum Erfolg als 2001, und die Kluft ist größer als in den meisten anderen Ländern. Deutschlan­d steht auf einer Stufe mit Bulgarien und der Slowakei. Lichtblick­e: Nicht überall sind die Leistungen nach unten gegangen. Im Schnitt ist die Lesekompet­enz heute so hoch wie 2001. Das liegt daran, dass der Anteil der besonders leistungss­tarken Schülerinn­en und Schüler von 8,6 auf 11,1 Prozent gewachsen ist. Insgesamt lesen die deutschen Viertkläss­ler besser als in den meisten Vergleichs­ländern. Besonders gut stehen Schleswig-Holstein und Bayern da. Allerdings geht die Gesamtentw­icklung nach unten: 2001 waren nur vier Staaten besser als Deutschlan­d, 2016 waren es zwanzig. Die Reaktionen: Über eine „Schande“für das Land der Dichter und Denker klagte der Dortmunder Bildungsfo­rscher Wilfried Bos. „Es ist nicht genug passiert“, zieht er ein düsteres Fazit der Bemühungen der Bundesländ­er, bei der Leseförder­ung Fortschrit­te zu machen. Für Lehrerverb­ands-Präsident Meidinger hat der gestiegene Anteil von Kindern mit Migrations­hintergrun­d, in deren Elternhäus­ern kein Deutsch gesprochen werde, die Probleme verschärft. Schon andere Studien hätten gezeigt, dass sie beim Lesen massive Leistungss­chwächen aufwiesen und abgehängt würden.

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FOTO: DPA Früh übt sich, wer gut lesen können will. Dabei können auch Schulbibli­otheken eine wichtige Grundlage bilden und Interesse an Büchern wecken.

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