„Dieser Einheitsbrei ist nicht demokratiefördernd“
Die Ulmer SPD-Linke Hilde Mattheis erklärt, warum sie eine Große Koalition strikt ablehnt
BERLIN - Kurz vor dem SPD-Parteitag in Berlin meldet sich die Parteilinke Hilde Mattheis zu Wort, um ihre Partei vor einer erneuten Großen Koalition zu warnen. „Große Koalitionen müssen eine Ausnahme bleiben, sie bringen die Demokratie und Gesellschaft nicht weiter. Wir haben das jetzt zweimal erlebt, ein drittes Mal wünsche ich mir wirklich nicht“, sagt Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21. Sabine Lennartz sprach mit der Ulmer SPD-Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis.
Frau Mattheis, rechnen Sie mit einem turbulenten SPD-Parteitag?
Ich würde das nicht turbulent, sondern eher intensiv nennen. Wir werden hart unsere Argumente austauschen.
Sie lehnen eine Sondierung mit der Union über eine neue GroKo ab. Warum?
Ich lehne die Große Koalition ab. Ich glaube, dass wir als SPD nicht nur die Verantwortung haben, als Bollwerk gegen Rechts, gegen die AfD, zu agieren, sondern dass wir auch die Aufgabe haben, uns zu konsolidieren. Wir konnten in der Großen Koalition schlicht und einfach nicht unsere alternativen Politikansätze aufzeigen. Dieser Einheitsbrei, den die Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen haben, ist nicht demokratiefördernd. Große Koalitionen müssen eine Ausnahme bleiben, sie bringen die Demokratie und Gesellschaft nicht weiter. Wir haben das jetzt zweimal erlebt, ein drittes Mal wünsche ich mir wirklich nicht.
Zerreißt die Frage die SPD?
Sie spaltet auf jeden Fall. Klar ist, dass unsere Mitglieder sich sehr wohl mit der Konstellation einer Minderheitsregierung anfreunden können. Auch die FDP ist nicht abgeneigt, wenn man den stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Herrn Theurer hört. Wir haben längst nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Eine Minderheitsregierung wäre eine massive Belebung des Parlaments.
Der Parteitag soll entscheiden. Haben Sie schon die Resolution der Jusos NoGroKo unterschrieben?
Wir waren sogar schneller als die Jusos und haben eine „NoGroKo“Kampagne gestartet. Wir sind da aber nicht in Konkurrenz, sondern es ist gut, wenn das von unterschiedlichen Seiten kommt.
Martin Schulz hat die Bürgerversicherung schon als Bedingung für eine Große Koalition genannt. Müssten Sie da nicht laut Hurra rufen?
Ich musste die Erfahrung machen, dass in der letzten Großen Koalition schon allein die Rückkehr zur Parität mit der Union nicht zu machen war. Wenn ich die Unionskollegen ernst nehme, wollen sie jetzt die Parität und die einheitliche Gebührenordnung. Aber den eigentlichen Knackpunkt, die Verbeitragung aller Einkunftsarten will die Union nicht. Deshalb warne ich davor, etwas lauthals zu verkünden und dann wieder zurückzurudern.
Das heißt, Sie trauen weder der Union noch Martin Schulz?
Das Vertrauen in die Union ist in der Tat schwer beschädigt. Die Bürgerversicherung umsetzen heißt allerdings alle Einkommensarten verbeitragen und alle in die Bürgerversicherung einbeziehen.
Was sagen Sie den Leuten, die der SPD Verantwortungslosigkeit vorwerfen, wenn Sie sich verweigern?
Wir sind verantwortungsbewusst und vollziehen transparent unsere Entscheidungen. Wir haben gleich am 24. 9. gesagt, dass wir nicht in eine Große Koalition gehen. Dass die FDP sich jetzt so heraushält und zurückzieht in die radikal marktliberale Ecke, das finde ich verantwortungslos.
Was ist denn mit der Europapartei SPD? Gerade hat Frankreichs Präsident Macron an die Sozialdemokraten appelliert.
Wir sind eine Europapartei. Wir haben schon bewiesen, dass wir für ein sozialeres Europa sind und haben auch in diesem Punkt eine Kontroverse mit der Union. Das heißt für uns eine klare Abkehr von der Austeritätspolitik hin zu einem solidarischen Miteinander, auch mit Ländern wie Griechenland.
Aber gerade Griechenlands linker Ministerpräsident Tsipras drängt die SPD jetzt zu einer Großen Koalition
Wahrscheinlich sieht er auch, dass mit der SPD die größten Ungerechtigkeiten vermieden worden sind. Hier muss allerdings hinzugefügt werden, dass ein klarer Kurswechsel mit der Union eben nicht gelungen ist.
Denken Sie, dass eine Minderheitsregierung Deutschland stabil regieren kann?
Aber sicher. Wir haben viele Vorbilder, zum Beispiel Schweden und Dänemark. Dort funktioniert sie. Ich sehe in einer Minderheitsregierung eine Stärkung des Parlaments, denn es muss wieder darum gehen, mit Argumenten zu überzeugen. Das hilft gegen eine Politikentfremdung.