„Ich bereue nichts“
Bergsteigerlegende Reinhold Messner beschreibt die Entwicklung im Alpinismus
AALEN - Reinhold Messner dürfte immer noch der bekannteste Bergsteiger sein. Als erster hat er in den 1970er- und 1980er-Jahren alle 14 Achttausender bestiegen. Gegenwärtig widmet sich der gebürtige Südtiroler Filmprojekten. Am 15. Januar um 20 Uhr kommt er nach Aalen in die Stadthalle. Wie Messner sagt, habe er früher in der Vorstellung gelebt, keine 40 Jahre alt zu werden. Mit ihm sprach Uwe Jauß.
Sie sind nun 73 Jahre alt. Wie blickt man da auf ein solch bewegtes Leben zurück?
Es ist ein gelungenes Leben. Ich bereue nichts. Dazu habe ich keine Lust und keine Zeit. Ich bin voller Ideen und werde sie Stück für Stück umsetzen. In meinem siebten Lebensjahrzehnt habe ich angefangen, Filme zu machen.
Welche Bereiche berühren diese Filme?
Ich bleibe in meiner Welt. Es geht um Menschen in der Wildnis und in den Bergen. Die Geschichten dazu habe ich eins zu eins erlebt. Nichts ist erfunden. Das Leben erzählt schließlich die besten Geschichten.
Was machen Sie sonst noch?
Ich konzentriere mich auf meine Filmprojekte. Jetzt habe ich die wirtschaftlichen Mittel. In meinem ganzen Leben musste ich mir alles immer erst erarbeiten, um meine Ideen umsetzen zu können. Ohne eine wirtschaftliche Basis ist ein solches Umsetzen nicht möglich. Ich gehe aber auch noch Klettern oder mache Wanderungen. Ich komme mit Freunden zusammen, von denen ich wiederum kreativen Input erhalte.
Was war im Rückblick ihr einschneidendstes Erlebnis?
Die Tragödie am Nanga Parbat 1970, als ich meinen Bruder verlor. Der Nanga Parbat ist ein Achttausender. Wir waren jung, unerfahsein. ren, aber alpinistisch sehr gut ausgebildet. Die Grenze des Machbaren haben wir nicht überschritten. Aber an einem solchen Berg führen bereits kleine Unbedachtsamkeiten zu Tragödien.
Ihr damaliger Abstieg über die Diamirwand galt als alpinistische Glanzleistung. Wie schätzen Sie das heutige Bergsteigen ein? Das ungesicherte Klettern an schwierigsten Wänden ist für Normalsterbliche praktisch nicht mehr nachvollziebar.
Was Alex Honnold oder Hansjörg Auer ,free solo’ machen, ist wirklich kaum mehr vorstellbar. Dies ist so weit weg von dem, was wir seinerzeit konnten.
Sie haben dem Bergsteigen aber in den 1970er-Jahren auch eine neue Wendung gegeben, oder? Es ging nicht mehr um Kameradschaftskult, althergebrachten Mannesmut und Ehre.
Ich habe das Bergsteigen vom heroischen Sockel geholt. Kein Sieg oder Tod mehr. Den älteren Bergsteigern wurde dadurch die Gelegenheit weggenommen, Helden zu Dies war damals für manchen schon ein Problem.
Das ist aber noch nicht alles. Sie haben schließlich auch die hochgerüsteten Expeditionen und das regelrechte Belagern der Berge inklusive des Gipfelsturms mit Fixseilen in Frage gestellt. Ihre Devise war letztlich vom Basislager aus ohne großen Aufwand schnell hoch und rasch wieder herunterzusteigen.
Ja, mit mir hat sich beim Höhenbergsteigen auch der Alpinstil durchgesetzt. Er hat sich großartig weiterentwickelt. Heutzutage gibt es auch weitaus bessere Kletterer als früher.
Ist ein guter Kletterer aber auch automatisch ein guter Alpinist?
90 Prozent der Kletterer klettern nur in der Halle. Dies ist reiner Sport und hat mit Alpinismus nichts zu tun. Weitere bevorzugen die präparierten Routen in den Bergen. Das ist auch Sport. Das Besteigen von Achttausendern ist Tourismus. Durch das Anbringen von Fixseilen entsteht praktisch ein Klettersteig vom Basislager bis zum Gipfel.
Dies klingt ein bisschen frustriert.
Ich wundere mich eben, dass die meisten Bergsteiger dort hingehen, wo sowieso bereits viele sind. Sie gehen dorthin, wo alles präpariert ist. Dort ist alles überlaufen. Selbst in den Alpen sind viele Berge einsam gelegen. Dies hat ja auch etwas Gutes. Aber das Unbekannte, das Neue scheint viele Bergsteiger nicht mehr anzuziehen.