Letzte Hoffnung für die Genossen
Mit Bauchschmerzen dafür, mit Kopfschmerzen dagegen – die SPD hat eine sehr schwierige Frage beantwortet: Martin Schulz hat es geschafft. Er hat die Genossen bei seiner vorsichtigen Wende und Öffnung zu Sondierungen mit der Union mitgenommen. Trotzdem ist der SPD-Parteichef nicht zu beneiden. Seine Partei ist im Dilemma. Sie ist immer Staatspartei gewesen, immer eine Partei, die sich um das Gemeinwesen kümmert, Verantwortung übernimmt. Sie konnte sich deshalb Gesprächen kaum verweigern. Auch mit Blick auf Europa. Aber die Mehrheit auf dem Parteitag, das zeigte sich, will eigentlich keine Große Koalition. Wenn Schulz jetzt falsch agiert, kann er die Weichen entweder für Deutschland oder für die SPD falsch stellen. Deshalb braucht er Zeit, Vertrauen und auch Glück.
Es war ein fast verzweifelter Versuch, dass Martin Schulz mit seiner überraschenden Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa noch einmal zeigen wollte, wie wichtig die SPD für die Außen- und Sicherheitspolitik ist. Doch sein Vorschlag kommt zur Unzeit. Im Moment stehen die Chancen schlechter denn je, innerhalb von acht Jahren zu den ersehnten Staaten von Europa zu kommen. Das weiß auch Schulz, aber er möchte Europa vorantreiben. Und er möchte zeigen, wie wichtig die Sozialdemokratie dafür ist.
Martin Schulz hat die Messlatte für eine Regierungsbeteiligung sehr hoch gelegt: Europa, Bürgerversicherung, keine befristeten Arbeitsverhältnisse, gute Renten – er wird im Erfolgsfall einer Großen Koalition nun Schwierigkeiten haben, zu hohe Erwartungen in seiner Partei wieder zu dämpfen.
Schulz ist längst vom Hoffnungsträger zur letzten Hoffnung der Genossen geworden. Hundert Prozent hat er bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden im Frühjahr erhalten, nun waren es knapp über 80 Prozent. Obwohl er Fehler gemacht hat, erst im Wahlkampf zu lange geschwiegen, dann nach dem Scheitern von Jamaika zu lange den Weg in die Große Koalition ausgeschlossen. Diese Fehler kann er jetzt ausbügeln.