Kartoffelsalat war an Heiligabend das Größte
Weihnachten früher in Aalen: Gerhard Kayser blickt zurück und sagt: „Trotz Entbehrungen war ich glücklich“
AALEN - Lebkuchen und Spekulatius, die seit Anfang September in den Regalen der Supermärkte stehen, eine üppige Weihnachtsbeleuchtung und massenhaft Geschenke an Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum: „Das hat es in meiner Kindheit nicht gegeben“, sagt Gerhard Kayser, der 1940 in Aalen geboren wurde. Als kleiner Junge freute er sich in der Nachkriegszeit über ein Paar gestrickte Socken, über den Kartoffelsalat am 24. Dezember und über den Christbaum auf dem Aalener Marktplatz – die einzige städtische Weihnachtsdekoration, die es damals in der heutigen Kreisstadt gab.
Über Diskussionen, ob Supermärkte an Heiligabend geöffnet haben sollen, wenn dieser wie heuer auf einen Sonntag fällt, oder darüber, dass es zu Weihnachten zu wenig Aktionen in der Innenstadt gibt, kann Gerhard Kayser, ehemaliger Inhaber des Geschäfts Eisen Kayser, nur schmunzeln. In seiner Kindheit nach dem Krieg gab es weder einen Weihnachtsmarkt noch eine bombastische Weihnachtsdekoration in der Stadt. „Diese war eher spärlich“, sagt Kayser. „Aber deshalb nicht weniger schön.“Der 77-Jährige erinnert sich gerne an den Christbaum, der in den 50er Jahren auf dem Marktplatz stand und von dem heute noch Fotos auf alten Postkarten zeugen, die der Aalener sammelt. Dass die Giebel an sämtlichen Häusern und Geschäften beleuchtet sind, rote Reichsäpfel über der Innenstadt schweben oder gar ein Hirsch mit LED-Lichtern wie vor dem Ärztehaus leuchtet, davon hätte in den 50er Jahren kein Mensch zu träumen gewagt. „In der Nachkriegszeit, in der so gut wie keiner etwas hatte, galt es, Strom und damit Geld zu sparen“, sagt Kayser.
Auch ein Rädle Gelbwurst machte damals glücklich
Auch von der heute aufwendigen Dekoration in den Geschäften oder überdimensionalen Weihnachtsbäumen wie vor dem Mercatura oder im Kubus, bei denen man vor lauter Kugeln gar nicht mehr den Baum sehe, konnte keine Rede sein. Ebenso wenig von Lebkuchen, die bereits im September zum Kauf angeboten werden. Auch Bredla, die heute in Hülle und Fülle in den Konditoreien über den Tresen gehen, wurden daheim selbst gebacken. Und statt Gutsle in den Geschäften oder der Möglichkeit, an einem Gewinnspiel mitzumachen, habe es damals beim Metzger ein Rädle Gelbwurst gegeben. „Aber auch das machte einen glücklich.“
Trotz den aus heutiger Sicht wenigen Höhepunkten, die es in der Innenstadt zum Bestaunen gab, zog Kayser in der Adventszeit gerne mit seinen Freunden von Schaufenster zu Schaufenster, um sich die Auslagen der Geschäfte anzuschauen, von denen manche mit Tannenzweigen und Zapfen dekoriert waren. Imposant sei vor allem das Hexenhaus aus Lebkuchen im ehemaligen Café und der ehemaligen Konditorei Schipprack in der Bahnhofstraße gewesen. Regelmäßig stand der Schulbub auch am Fenster der Werkstatt des Feinmechanikers Fritz Schüle (daher der Name des dort später untergebrachten Lokals Fenstergucker, heute Restaurant Dionysos) und schaute ihm dabei zu, wie er Lokomotiven für die Modelleisenbahn reparierte. Der Wunsch, dass davon eine einmal für ihn unter dem Weihnachtsbaum liegt, hat sich dann auch Jahre später erfüllt.
„Große Einzelhandelsaktionen gab es in der Vorweihnachtszeit nicht“, sagt Kayser. Allerdings seien alle Geschäfte, die zum Großteil inhabergeführt gewesen seien, an den vier Adventssonntagen geöffnet gewesen. Auch Kaysers Mutter und seine elf Jahre ältere Schwester standen an diesen Tagen im Laden. Über den Tresen gingen bei dem Anbieter von Haus- und Küchengeräten in der Bahnhofstraße vor allem nützliche Geschenke wie Zwiebelschneider. Ganz nach dem Motto: „An Weihnachten denken, praktisch schenken.“Und wenn es dem Jungen alleine in der Wohnung zu langweilig wurde, lugte er aus dem Fenster in Richtung Olgastraße. „Von hier aus beobachtete ich die vielen Menschen, die mit dem Zug eintreffen und vom Kaufhaus Helm (heutiger Standort der VR-Bank) um die Ecke kamen, um in der Stadt für ihre Lieben Geschenke zu kaufen.“
Diese fielen aus heutiger Sicht aber eher spärlich aus. Auch Kayser musste sich mit wenig zufrieden geben, war aber dennoch glücklich. Als Siebenjähriger freute er sich über einen Gummiball, später über einen Metallbaukasten der Marke Märklin, dann über eine
„In Zeiten des Überflusses haben die Feiertage einen anderen Stellenwert“, sagt Gerhard Kayser.
Laubsägegarnitur, die neben einer Laubsäge Brettchen beinhaltete, auf denen man Märchenfiguren wie Hans im Glück oder Schneewittchen aussägen und anschließend bemalen konnte. In den 50er Jahren lagen dann auch die begehrte Märklin-Eisenbahn oder Schlittschuhe unterm Baum, die allerdings nur mit einem Vierkantschlüssel am Schuh befestigt werden konnten.
Eine Eishalle, die heute noch viele Aalener nach deren Abbruch schmerzlich vermissen, gab es damals nicht, sagt Kayser. „Wir sind auf den Eisweihern gelaufen, im Taufbach oder im Burgstall, teilweise aber auch die vereiste Ziegelstraße bergabwärts. Später gab es an der heutigen Kreissparkasse Ostalb auch eine Eisfläche, die im Auftrag der Stadt mit einem Schlauch aufgespritzt wurde – fast analog zu der heutigen mobilen Eisbahn im Greut“, lacht Kayser.
In Erinnerung geblieben sind ihm auch die Besuche des Gottesdienstes an Heiligabend in der Stadtkirche, zu denen man zeitig aufbrechen musste, um nicht nur einen Platz auf der Treppe zu ergattern. Von dem QuempasSingen der Konfirmanden schwärmt der Aalener heute noch. Und auch von der einzigartigen Atmosphäre. „Die Kirche war dunkel und nur die Konfirmanden hatten eine Kerze auf einem Pappdeckel in der Hand. Zum Schluss wurde wie heute gemeinsam das Lied ,Oh du fröhliche‘ gesungen“, denkt Kayser gerne an einst zurück.
Etwas Besonderes war damals auch das Essen in der Wohnstube, die die vier Kayser-Kinder erst nach der Christmette betreten durften, um sich dann an dem dort aufgestellten Weihnachtsbaum zu erfreuen. „Neben Würstchen gab es Kartoffelsalat“, sagt Kayser. „Für uns das Größte. Denn unter dem Jahr gab es diesen so gut wie nie.“Ein Genuss sei auch die Gans mit Sauerkraut und Knödeln gewesen, die am ersten Weihnachtsfeiertag auf den festlich gedeckten Tisch kam. Die Reste, die übrig blieben, wurden am zweiten Weihnachtsfeiertag genossen.
Geschenke haben ihre Bedeutung verloren
„An den Feiertagen wie heute in einem Restaurant essen zu gehen, stand außer Frage“, sagt Kayser. Aus Geldgründen. Darüber hinaus habe es nicht die Fülle an Lokalen wie heute gegeben, sondern nur wenige alteingesessene Gasthäuser innerhalb der ehemaligen Stadtmauern. Komplett Fehlanzeige war das Schauen von Weihnachtsfilmen oder Nachrichten im Fernsehen. „Einen der ersten Apparate gab es im Geschäft Rheinelektra am heutigen Standort des Polizeireviers“, erinnert sich Kayser. Auf diesem habe er auch seine ersten Fußballspiele gesehen.
Trotz so mancher Entbehrung denkt Kayser gerne an die früheren Weihnachtsfeste zurück, die immer etwas Besonderes gewesen seien. Vielleicht sogar mehr als heute. „In Zeiten des Überflusses haben die Feiertage einen anderen Stellenwert. Der Kartoffelsalat kommt auch unter dem Jahr regelmäßig auf den Tisch und Geschenke haben ihre Bedeutung verloren. Was man übers Jahr braucht, kauft man sich selbst.“Eines ist für Kayser aber auch heute noch so wichtig wie damals. Der familiäre Zusammenhalt und das Feiern im Kreis der Lieben.