Im Rhythmus eines Orchestermusikers
Als Drummer hat Manfred Schiegl viel erlebt: Vor 30 Jahren spielte der Aalener in der Carnegie Hall in New York
AALEN - Mafiaüberfall, Hotelbrand und ein verkleideter Hornist: In 37 Jahren bei den Stuttgarter Philharmonikern passiert einiges. Entsprechend viel kann Manfred Schiegl, der dort von 1968 bis 2005 Schlagzeug und Pauke gespielt hat, erzählen. Sein persönlicher Höhepunkt: Als er vor 30 Jahren als erster Aalener in der Carnegie Hall in New York Schlagzeug spielte. „Die Carnegie Hall war der Tempel aller Musiker“, erzählt der 78-jährige Aalener. „Da läufst du auf heiligem Rasen.“Er war damals mit dem Philharmonikern auf einer mehrwöchigen Konzertreise in den USA unterwegs. Nach dem Auftritt in der berühmten Konzerthalle schwärmte Schiegl von einer „absolut perfekten Akustik“.
Solche Konzertreisen hat Schiegl als Solo-Schlagzeuger oft begleitet und dabei die kuriosesten Situationen erlebt: Kommt er ins Erzählen, dann kommen Zuhörer aus dem Staunen nicht mehr heraus. Im Gespräch kann es durchaus vorkommen, dass er beiläufig ein Foto von sich mit Eugen Cicero, dem Vater des Sängers Roger Cicero zeigt. Auf einem anderen Bild spielt er auf dem Schiff Achille Lauro, das 1985 von palästinensischen Terroristen entführt worden ist und das 1994 nach einem Maschinenbrand gesunken ist. „Wir waren zum Glück früher an Bord“, sagt Schiegl nur und erzählt schon die nächste Anekdote.
Männer mit Maschinenpistolen standen um die Musiker herum
In den 60er Jahren sei er mit seinem Musikerkollegen in einem großen Londoner Hotel einquartiert gewesen. Mitten in der Nacht ging plötzlich der Tumult los: Feueralarm. Schiegl sprang aus dem Bett, zog einen Morgenmantel über, weckte seinen Sohn, der das Orchester als Aushilfe begleitet hatte und rannte mit ihm nach draußen. „Wir standen in Grüppchen vor dem Gebäude und haben zugeschaut, wie die Feuerwehr gelöscht hat.“Das Hotel nannte hinterher einen technischen Defekt als Ursache, für eine Nacht mussten die Gäste zusammen rücken und in den unversehrten Zimmern schlafen.
Ein anderes Mal, irgendwann im Jahr 1968, war Schiegl mit den Stuttgarter Philharmonikern in Italien unterwegs. Die Musiker hatten eine Vorstellung auf Sizilien gegeben und waren spätabends auf dem Heimweg ins Hotel, als die beiden Omnibusse und der Laster mit den Instrumenten abrupt gestoppt wurden. „Ich hab aus dem Fenster geschaut und viele Männer mit Lederjacken und Maschinenpistolen gesehen, die um die Busse herum standen“, erzählt Schiegl. Es war die italienische Mafia. „Wir wurden kontrolliert, die Männer stiegen eigentlich relativ höflich ein und haben sich dann entschuldigt, dass es ein Versehen war.“Nach dem erschreckenden Erlebnis mutmaßten die Musiker, dass die Mafiosis angenommen hatten, ein Großgrundbesitzer habe bei Nacht und Nebel sein Hab und Gut beiseite schaffen wollen, ohne von der Mafia kontrolliert zu werden.
Schon etwas lustiger sei das Erlebnis gewesen, als er auf Tour war und sich kurz vor knapp im Hotel für das Konzert umziehen wollte. Schiegl öffnete den Koffer, den seine Frau für ihn gepackt hatte, in Erwartung seine Frackschuhe vorzufinden. Schuhbekleidung war da – zumindest ein linker Schuh. Als Gegenstück fand Manfred Schiegl aber nur einen weiteren linken Schuh, der zwar ebenfalls schwarz war, im Gegensatz zu dem Schnürschuh aber eine Schnalle hatte und offensichtlich zu einem anderen Schuh gehörte. „Zeit, mir neue Schuhe zu kaufen, hatte ich da nicht mehr.“Also zwängte er sich kurzerhand in die Schuhe und stieg in den Bus. In der
„Ich hab aus dem Fenster geschaut und Männer mit Lederjacken und Maschinenpistolen gesehen“, sagt Manfred Schiegl.
Konzerthalle angekommen, hatte er mit seinem ungewöhnlichen Auftritt unverhofften Erfolg: „Unter den Kollegen hat sich herum gesprochen, dass ich zwei linke Schuhe anhatte. Alle wollten das sehen.“Es müsse außerordentlich linkisch ausgesehen haben, sagt Schiegl, denn seine Kollegen schrien vor Lachen. „Die Schuhe haben für so gute Stimmung gesorgt, dass ich sie den Rest der Tournee angezogen hab’.“Und der Kleiderordnung hatte er nebenbei auch noch ein Schnippchen geschlagen: Normalerweise mussten Musiker, die nicht ordnungsgemäß gekleidet waren, einen Obolus zahlen: Falsche Socken, eine falsche Schuhfarbe, oder sonstige Vergehen der Etikette wurden mit einem Geldbetrag geahndet. Da in dem Kodex allerdings genau die Schuh-, Socken- und Frackfarbe festgelegt war, allerdings nicht, dass ein Musiker ausdrücklich einen linken und einen rechten Schuh tragen müsse, kam Schiegl mit seinen beiden linken Schuhen ungeschoren davon. Der damalige Chef-Dirigent Hans Zanotelli verlangte lediglich das außergewöhnliche Schuhwerk zu sehen – und lachte.
Betrunkene Soldaten hauten das Auto kaputt
In der Zeit der US-Besatzung hatte er einen Auftritt in einer amerikanischen Kaserne. Schiegl fuhr mit seinem Käfer zu der Kaserne und wurde von den Musikern schon ungeduldig in Empfang genommen. Er spielte, erhielt seine Gage und wollte wieder nach Hause fahren. Dieser Wunsch blieb ihm allerdings verwehrt, weil die US-Soldaten sich in feucht-fröhlicher Stimmung einen Spaß daraus gemacht hatten, mit der bloßen Faust das Dach seines Käfers einzudellen. Mit einem solchen Erfolg, dass das Dach komplett in die andere Richtung durchgebogen war und Schiegl nicht einmal mehr lenken konnte.
Für große Aufmerksamkeit sorgte auch ein Auftritt in München, den das Aalener Sinfonieorchester begleitete, erzählt Schiegl. Die Musiker waren nur zu Dekorationszwecken eingeladen, die Musik wurde in der Fernsehsendung mit Playback abgespielt. Die Aufgabe des Orchesters war es, vor der Kamera so zu tun, als spiele es. In dem Stück war ein Hornsolo zu sehen, einzig der Hornist fehlte, um das Bild glaubwürdig erscheinen zu lassen. Für die TV-Leute in München kein großes Problem, sie statteten kurzerhand den Hausmeister der städtischen Musikschule, der die Gruppe begleitet hatte, mit einem Frack und einem Horn aus und gaben ihm die Anweisung so zu tun, als wisse er was er tue.
Der Mann blies auch zur rechten Zeit in das richtige Loch und wäre vermutlich deutschlandweit anstandslos als Hornist verbucht worden, wenn nicht der ehemalige OB Ulrich Pfeifle auch seinen Fernseher eingeschaltet hätte. Er sei empört gewesen über dieses unglaubwürdige Schauspiel. Jeder wisse doch, dass der Hausmeister der Musikschule der Stadt Aalen kein Instrument spielt, meinte er. Fortan verbot er, ein ähnliches Arrangement zu wiederholen. Und tatsächlich war es das letzte Mal, dass die Aalener ihren Musikschulhausmeister im Fernsehen als Hornist erlebt haben.