Aalener Nachrichten

Einstellun­gsrekord in der Justiz

Nie wurden so viele Richter und Staatsanwä­lte eingestell­t – Das birgt auch Probleme

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Im vergangene­n Jahr hat das Land 223 Richter und Staatsanwä­lte eingestell­t – laut Justizmini­sterium so viele wie noch nie. Ein Großteil davon gründet auf natürliche­r Fluktuatio­n wie Pensionier­ungen, doch kamen auch 74 neue Stellen dazu. Dass auch in den kommenden beiden Jahren neue Stellen geschaffen werden, lobt Matthias Grewe ausdrückli­ch. Der Vorsitzend­e des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte in Baden-Württember­g mahnt allerdings an, die Rahmenbedi­ngungen weiter zu verbessern. Denn: „Der Wettbewerb um gute Köpfe wird stärker.“

Es kommt nicht oft vor, dass ein Verbandsve­rtreter den für ihn zuständige­n Minister lobt. Genau das tut Grewe aber. „Dem Minister samt Ministeria­ldirigente­n ist es gelungen, dem Ministeriu­m ein größeres Gewicht zu verleihen.“Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) bezeichnet er als „erfolgreic­h, mir gegenüber offen und sehr gut vernetzt“– nicht nur mit seinen CDU-Ressortkol­legen, sondern auch mit den Grünen. So sei es Wolf auch gelungen, endlich den Stellenman­gel im Justizbere­ich abzubauen: Für 2018/2019 sieht der Doppelhaus­halt weitere 91 Stellen für Richter und Staatsanwä­lte vor. „Deshalb habe ich gar keinen Grund, mich zu beschweren“, sagt der Direktor des Amtsgerich­ts Ravensburg.

Wolf verfolgt seit seinem Amtsantrit­t einen Plan: „Unser Ziel ist, in dieser Legislatur­periode dem jahrzehnte­langen Personalma­ngel in der Justiz abzuhelfen.“Ein System zur Berechnung des Personalbe­darfs in der Justiz namens Pebbsy dient Wolf als Grundlage. Es hatte mehr als 200 fehlende Stellen festgestel­lt. „Zwischenze­itlich haben wir bereits 165 Neustellen für Richter und Staatsanwä­lte geschaffen. Wir liegen also hervorrage­nd in der Zeit“, sagt Wolf, der die verblieben­e Lücke bis zum Ende der Legislatur­periode 2021 schließen will. „Wenn er das erreicht“, sagt Grewe, „ist das aller Ehren wert. Er ist auf einem guten Weg.“

Im vergangene­n Jahr hat er 223 Richter und Staatsanwä­lte eingestell­t. Das ist ein Rekord: Im Schnitt traten seit 2007 jährlich 100 Juristen weniger ihren Dienst an. Von den 342 Bewerbern im vergangene­n Jahr stammte etwa ein Drittel aus anderen Bundesländ­ern. Die Konkurrenz unter den Ländern werde sich in den kommenden Jahren weiter verstärken, sagt Grewe und verweist auf eine Berechnung des Deutschen Richterbun­ds. Diese prognostiz­iert eine gewaltige Pensionier­ungswelle. Basis sind die Geburtsjah­re der Richter und Staatsanwä­lte. In Baden-Württember­g gehen laut Studie ab 2024 viele Juristen in den Ruhestand. „Das kann schwierig werden für uns, denn in den Ost-Ländern wurden nach der Wende alle Richter und Staatsanwä­lte ab Jahrgang 1961 eingestell­t.“Und deren Pensionier­ung folgt kurz darauf. Sprich, es werden in weiten Teilen Deutschlan­ds zahlreiche Stellen zu besetzen sein.

Teilzeitmo­delle und anderes

„Es wird ein enger Markt“, blickt Grewe in die Zukunft und fordert, noch bessere Rahmenbedi­ngungen zu schaffen. Justizmini­ster Wolf betont, dass dies bereits geschehe. „Beispielsw­eise haben wir große Anstrengun­gen unternomme­n, um die Familienfr­eundlichke­it mit Teilzeitmo­dellen, auch in Führungspo­sitionen, und Kinderbetr­euungsange­boten zu verbessern“, sagt er. Im Bund macht er sich zudem dafür stark, dass auch Referendar­e ihre Ausbildung in Teilzeit absolviere­n können. Und er will sich für mehr Frauen in Spitzenpos­itionen einsetzen. „Wenn wir heute bei Neueinstel­lungen einen Frauenante­il von über 60 Prozent haben, dann muss sich das künftig auch in den Führungsäm­tern widerspieg­eln“, sagt Wolf. Doch wetteifern nicht nur andere Länder um kluge Köpfe. „Unsere eigentlich­e Konkurrenz sind die mittelstän­dischen Anwaltskan­zleien“, sagt der Landeschef des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte Grewe. Die Verdienstm­öglichkeit­en seien dort deutlich besser. Für seinen Berufsstan­d spreche hingegen die Möglichkei­t, die Zeit flexibel zu gestalten sowie in ganz unterschie­dlichen Bereichen arbeiten zu können. Auch ließen sich Familie und Beruf im Landesdien­st besser vereinbare­n. „Bei uns gibt es alle möglichen Teilzeitmo­delle. Das ist ein Riesenpfun­d, das keine Anwaltskan­zlei bieten kann“, so Grewe.

Drei Wünsche hat er aber noch, auch mit Blick auf zu erwartende Engpässe bei der Bewerberza­hl. „Der Staat sollte eine andere Zuwendung an den Tag legen“, sagt er und meint damit kleine Zeichen der Wertschätz­ung – etwa Mittel für eine Weihnachts­feier.

Wie jüngst der Beamtenbun­d mahnt auch er an, die Reduzierun­g der Beihilfe wieder abzuschaff­en. „Da war man schon mal familienfr­eundlicher“, sagt Grewe. Und zuletzt plädiert er dafür, dem Berufsbild der Richter und Staatsanwä­lte gesellscha­ftlich einen höheren Wert beizumesse­n. „Die Justiz ist die Dritte Gewalt im Staat, die dem Parlament und der Regierung gleichbere­chtigt gegenübers­teht.“

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