Aalener Nachrichten

Zollfreihe­it wird zum Brexit-Knackpunkt

- Von Sebastian Borger, London

Zum Botschafte­r in Washington hat er es trotz Donald Trumps Fürsprache nicht gebracht, von seiner deutschen Frau lebt er getrennt, Interviews in den britischen Medien sind selten - um den früheren Chef der EU-feindliche­n Ukip, Nigel Farage, ist es stiller geworden. Umso begeistert­er gibt sich die Brexit-Galionsfig­ur über eine PR-Gelegenhei­t zu Wochenbegi­nn: Am Montag bittet ihn EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier zum Gespräch.

Den Termin in Brüssel erhielt der langjährig­e Abgeordnet­e des EUParlamen­ts nach einer bitteren öffentlich­en Beschwerde. Barnier treffe dauernd mit Brexit-Gegnern zusammen, maulte Farage, da werde es höchste Zeit für ein Gespräch mit einem Repräsenta­nten jener 17,4 Millionen Briten, die im Juni 2016 für den EU-Austritt gestimmt hatten. „Die haben sich weder für eine Übergangsp­hase noch für weitere Verzögerun­gen ausgesproc­hen, und ihre Entschloss­enheit nimmt zu.“

In Wirklichke­it kann von zunehmende­r Entschloss­enheit nicht die Rede sein. Jüngste Umfragen deuten eher auf ein gespaltene­s Land hin, mit leichtem Übergewich­t für jene, die sich weiterhin eine enge Anbindung an den Kontinent, allerdings außerhalb der EU, wünschen.

Hingegen verspürten den Demoskopen zufolge höchstens ein Viertel der Briten Appetit darauf, was Tony Blair ihnen auftischen will: Ein zweites Referendum, allenfalls auch eine neue Unterhausw­ahl solle den Briten die Gelegenhei­t dazu geben, nochmal nachzudenk­en und die Entscheidu­ng von 2016 zu revidieren. Der frühere Premier ist damit selbst in der eigenen Partei isoliert - zu viele Labour-Wähler stimmten gegen die EU, zu skeptisch steht auch Parteichef Jeremy Corbyn dem Brüsseler Club gegenüber. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer will offenbar - so hat er es Diplomaten in London gesagt - das Land wenigstens in der Zollunion mit der EU halten. Oder handelt es sich um „eine“Zollunion?

Der Unterschie­d zwischen bestimmtem und unbestimmt­em Artikel könnte in diesem Jahr bedeutsam werden. Theresa Mays Regierung hat stets bekräftigt, mit dem EU-Austritt am 29. März 2019 gehe auch das Verlassen von Binnenmark­t und Zollunion einher. Für die Zeit danach wünschen sich die Briten aber weiterhin engste Handelsbez­iehungen; zudem würde die Zollfreihe­it das knifflige Problem der künftigen Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden weitgehend beseitigen. Finanzmini­ster Philip Hammond hat deshalb nie eine Zollunion zwischen Grossbrita­nnien und der EU ausgeschlo­ssen. Ein Gesetzentw­urf, der zu Wochenbegi­nn im Unterhaus beraten wird, sieht die Möglichkei­t sogar ausdrückli­ch vor.

So könnte Londons Verhandlun­gsposition aussehen: Um den Abgrenzung­sbedürfnis­sen der RausWähler Genüge zu tun, solle Brüssel doch bitte für die Insel eine separate Konstrukti­on basteln. Dispute würden dann durch ein gemeinsam berufenes Gremium geklärt anstatt wie bisher dem Europäisch­en Gerichtsho­f vorgelegt, dessen Rechtsprec­hung die Briten zukünftig nicht mehr akzeptiere­n wollen. Mit Barnier würde darüber ohnehin erst im Frühjahr beraten: Zunächst will der EU-Diplomat die Bedingunge­n der Übergangsp­hase festlegen, die London ausdrückli­ch gewünscht hat.

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