Als man Aalen noch am Geruch erkannte
25-jähriger Nachtwächter zeigt eine andere Sicht auf die Stadt
AALEN - Es ist ein lauer Januarabend, die meisten Eingänge der Geschäfte in der Aalener Innenstadt sind vergittert, die Passanten gehen zügigen Schrittes vorbei. Nur am Marktbrunnen sammelt sich eine Menschentraube um einen Mann, der einen langen dunklen Mantel trägt - blau oder schwarz, in dem Dämmerlicht der Holzlaterne, die er bei sich trägt, ist das nicht zu erkennen. In der anderen Hand hält er eine Art Lanze, richtiger eine Hellebarde, wie er später erklärt. Er sei der Nachtwächter von Aalen, stellt er sich vor. In der nächsten Stunde wird er den Sportlern, die sich mit ihm getroffen haben, ein Aalen zeigen, das sie so noch nicht kennen: Mit einem historischen Blick, wobei er eher „Gschichtla“statt „Geschichte“erzählen werde. Auf diese Ankündigung hin atmet ein Teil seiner Zuhörer merkbar auf.
Mit 17 in die Zunft aufgenommen worden
Der Nachtwächter heißt im wahren Leben Fabian Greif. Seit er mit 16 Jahren einen Nachtwächter erlebt habe, wollte er selbst einer werden. Mit 17 sei er in die Nachtwächterund Türmerzunft aufgenommen worden und führt seitdem schon acht Jahre lang Gruppen durch Aalen. „Es macht Spaß, den Leuten die Geschichte der Stadt näher zu bringen“, sagt der Sozialpädagoge. Sein persönliches Highlight: „Es ist immer Nachtwächter Fabian Greif nett, wenn Alt-Aalener dabei sind. Da lernt man selber noch was über die Stadtgeschichte während der Führung.“Er selbst interessiere sich für Geschichte. Auch wenn man – streng wissenschaftlich betrachtet – nicht alle seiner Nachtwächter-Anekdoten auf die Goldwaage legen dürfe.
Viel Zeit bleibt den Mitgliedern der Sportgruppe des Skiclubs Kapfenburg nicht, sich zum neuen Jahr zu gratulieren, da steht der Nachtwächter schon auf der Stufe des Marktbrunnens, bläst in ein Horn, das er umgehängt hat und singt dann unvermittelt los: „Hört ihr Leut und lasst euch sagen, die Uhr hat sieben g´schlagen.“Es geht los. Die erste seine Gschichtla handelt von Napoleon, der sich eine blutige Nase in Aalen geholt hat. „Er saß im damaligen Hotel Krone Post an seinem Schreibtisch als draußen ein Tumult losbrach.“Der Kaiser sei zum Fenster gestürzt und „dabei mit vollem Karacho durch die Glasscheibe gebrochen“, wobei er sich eine blutige Nase geholt habe. Und das für nichts und wider nichts: Die Aufregung auf der Straße habe den einzigen Grund gehabt, dass sich seine Soldaten über die Geißböcke an der Kirchturmuhr amüsierten, die zur vollen Stunde ihre Köpfe zusammen schlugen. Der Kaiser habe damals wohl noch nicht mit Glasscheiben gerechnet. „Das Napoleonfenster ist noch heute in der Tricolore gehalten“, sagt der Nachtwächter und zeigt nach oben auf den historischen Unfallort.
Trunkenbolde gesichtet
Weiter geht´s – der Nachtwächter bläst vor dem Hobel wieder in sein Horn und erzählt von Trunkenbolden, nach denen die Nachtwächter Ausschau gehalten haben. Auf seinen Gesang hin kommt Geschäftsführerin Ebru aus dem Lokal mit einem Bier, das sie einem der Zuhörer reicht. Der freut sich schon, doch der Nachtwächter kennt das Ritual. „Des isch meins“, sagt er grinsend, bevor er von dem letzten Nachtwächter erzählt, der eine wahre „Schlafkapp´“gewesen sein soll und deshalb von der Stadt gefeuert wurde.
Und so geht es weiter zur Stadtkirche, wo der Nachtwächter über die Beziehung seiner Zunft zu dem Türmer spricht, der ihn damals in Naturalien bezahlt haben soll oder die Geschichte des Malers Wintergerst zum besten gibt, der für seine Malereider en in Kirche nicht bezahlt worden sein soll – worauf er den Pinsel zwischen die Holzlatten der Decke gesteckt haben soll. Als Zeugnis dessen sehe man noch heute den Holzstiel an der DeStopps cke. Weitere gibt es vor den ältesten Häusern Aalens, die den großen Stadtbrand 1634 überstanden hatten, dem Schubarthaus, und der ehemaligen Mühle an der Stadtmauer. Aalen habe damals seinen ganz speziellen Duft gehabt, erzählt der Nachtwächter, wie jede andere Stadt auch. Daher komme auch die Bezeichnung „Reingschmeckter“. Menschen gewöhnten sich an den Gestank der eigenen Stadt, zogen sie um in eine andere Stadt, erkannte man den Fremdling am Naserümpfen, das ihn als „Reingschmeckter“verriet. Zum Abschluss geht es wieder Richtung Marktbrunnen – doch da kreuzt eine weitere historische Figur den Weg der Gruppe: der Aalener Spion. Er erzählt seine Geschichte, wie er den Frieden zwischen Gmünd und Aalen seinerzeit wieder herstellte.
Kollegen erzählen andere Geschichten
Dann ist es auch schon Zeit für den Nachtwächter ein letztes Mal sein Horn zu heben und zu verkünden, das die Uhr bereits acht geschlagen habe. Der laue Abend entpuppt sich nach dem Spaziergang doch als kalte Winternacht – die Sportler werden noch einkehren. „Es war sehr schön, die Stadt aus einer anderen Sicht zu sehen“, sagt eine Frau aus der Gruppe. „Es gibt so viel zu erzählen“, sagt er und wird wieder zu Fabian Greif. „Man überlegt, was man von den Geschichten weglassen kann, wenn die Zeit knapp wird.“Seine Kollegen hätten wiederum andere Geschichten im Gepäck.
„Es ist immer nett, wenn Alt-Aalener dabei sind.“