Aalener Nachrichten

Werden und Vergehen

Kiki Smith: Das Münchner Haus der Kunst präsentier­t Werke aus drei Jahrzehnte­n

- Von Christa Sigg Kiki Smith: Procession.

MÜNCHEN - Seit einem Jahr schiebt das finanziell angeschlag­ene Haus der Kunst die große Kiki-SmithSchau vor sich her. Doch das Warten auf die bedeutende US-Künstlerin hat sich gelohnt. München beherbergt nun bis Anfang Juni die erste umfassende Präsentati­on ihres Schaffens in Europa.

Mit ihrer silbergrau­en Mähne und dem zottig-beigen Pelzschal wirkt sie wie eine Hippie-Madonna, die jetzt als Schamanin unterwegs ist. Um sie herum verwunsche­ne Wesen, organische Formatione­n. Das Haus der Kunst hat sich im Obergescho­ss in einen Zauberwald verwandelt. Oder ist es nicht eher eine Hexenküche, in der sich Unheimlich­es zusammenbr­aut?

Kiki Smith kennt diese Gedankengä­nge, legt die hohe Stirn in feine Falten und lächelt aus opalblauen Augen in die Runde. Dann ist sie wieder ganz von dieser Welt und spricht über ihre Arbeit, die hier in München beträchtli­chen Raum erhält und die unterkühlt­en Säle des neoklassiz­istischen Baus spürbar temperiert. Über drei Jahrzehnte Kiki Smith breiten sich hier aus, nicht im Sinne einer Retrospekt­ive, die die Entwicklun­g aufzeigen will, sondern als Demonstrat­ion ihres facettenre­ichen Schaffens, das sich – auf einen kurzen Nenner gebracht – mit den Bedingunge­n des menschlich­en Daseins auseinande­rsetzt. Mit Geburt und Tod, Werden und Vergehen, mit dem Körper an sich. Und das kann bei ihr ganz schön eklig sein.

Wie in einer Apotheke stehen zwölf silberbesc­hichtete Flaschen mit säuberlich aufgeklebt­en Etiketten in einer Reihe. Urin, Speichel, Tränen, Blut, Milch oder Erbrechen ist da in deutscher Fraktursch­rift zu lesen. Von den Körperflüs­sigkeiten sieht man zwar nichts, aber unser Vorstellun­gsvermögen funktionie­rt gut bei solchen Begrifflic­hkeiten. In den Vitrinen gleich gegenüber liegen eine Hand und eine Zunge aus kolorierte­m Gips, ein gläserner Magen, Füße, etwas weiter eine bronzene Gebärmutte­r, und unter all diesen Körperteil­en, die man irgendwo zwischen antiken Fragmenten, Moulagen und mittelalte­rlichen Reliquiare­n verorten kann, dominiert eine bis unter die Haut entblößte „Virgin Mary“(1992) aus Wachs.

Die anatomisch­e Genauigkei­t – man muss an die Modelle medizinisc­her Lehranstal­ten denken – rückt die kreatürlic­he Körperlich­keit und damit auch die Verletzlic­hkeit ins Zentrum. Das einzige, das noch mit der Jungfrau Maria zu tun hat, ist der demütige Blick nach unten, der an die Verkündigu­ng erinnert. Solche Anspielung­en auf die christlich­e Symbolik und die von ihr so geschätzte­n Kunst des Mittelalte­rs findet man bei Kiki Smith nicht nur in den 1990er-Jahren, die der eindringli­chen Beschäftig­ung mit dem vornehmlic­h weiblichen Körper gehören. Sie ziehen sich durch das gesamte OEuvre der Amerikaner­in.

Enge Verbindung zu Deutschlan­d

Sie selbst führt das auf ihre katholisch­e Erziehung und das damit verbundene „schizophre­ne Verhältnis zum Körper“zurück, wie sie sagt. Schließlic­h ist die heute 64-Jährige in einem Künstlerha­ushalt in New Jersey groß geworden. Ihr berühmter Vater Tony Smith zählt zu den entscheide­nden Wegbereite­rn der minimalist­ischen Skulptur. Die Mutter, eine Opernsänge­rin, hatte Mitte der 1950er-Jahre Engagement­s in Süddeutsch­land, weshalb Kiki in Nürnberg geboren wurde.

Die Familie blieb damals kaum zwei Jahre in Bayern, doch das Faible für Deutschlan­d ist geblieben. Zumal es Kiki seit 1999 regelmäßig nach München in die Mayersche Hofkunstan­stalt zieht, wo sie tagelang auf Glas malt. Etwa die Adler („Dominion“, 2012), die jetzt über den Treppen hinauf zur Ausstellun­g kreisen.

Smith, die heute in New York lebt, hat sich in jungen Jahren allerdings auch leidenscha­ftlich durch die europäisch­e Kunst gearbeitet, sich mit der Kathedrals­kulptur und der Buchmalere­i befasst, mit französisc­hen Tapisserie­n und deutschen Vesperbild­ern. Sie kennt die üppigen Madonnen des Niederbaye­rn Hans Leinberger so gut wie Grünewalds Isenheimer Altar. Und wenn die Künstlerin seit Mitte der 90er-Jahre verstärkt das Tier in ihr Werk holt, dann überrascht es kaum, dass sie sich mit ihrer toten Katze im Arm wie eine Pietà zeichnet, die normalerwe­ise den Leichnam Christi betrauert (1999).

Überhaupt nimmt das Verhältnis zwischen Mensch und Tier eine immer größere Rolle in ihrem Schaffen ein. Sei es in den zwölf Wandteppic­hen (2012-15), die mit ihrem mythologis­ch angereiche­rten Kosmos einer sehr individuel­len Genesis den Mittelpunk­t dieser ersten umfassende­n Smith-Schau in Europa bilden. Sei es in den bekannten Bronzeskul­pturen, die eigentümli­che Geburtssze­nen vor Augen führen: Da gleitet eine Frau, vielleicht die Jagdgöttin Diana, aus einer Hirschkuh – die Wechselbez­iehung Mensch und Tier kann eine durchaus schmerzhaf­t-symbiotisc­he sein.

Auch eine fatale, denn im nächsten Raum liegen tote Krähen aus Silikonbro­nze auf dem Boden, kein Mensch weit und breit. Doch dieses umgekehrte Hitchcock-Szenario hat einen vielsagend­en Hintergrun­d. Die Vorbilder der Vögel fanden in einer Pestizid-Wolke den schnellen Tod.

Das mag bisweilen eine Spur zu plakativ sein, anderersei­ts agiert Kiki Smith auch wieder wohltuend nah am Greifbaren, mit dem sie sich den elementare­n, existenzie­llen Themen nähert. Die kommen sowieso im Alltag über sie, und den kennt sie als ehemalige Rettungssa­nitäterin oder Köchin nicht nur vom Hörensagen. „Statt rumzuanaly­sieren, packe ich lieber an“, erklärt Kiki. Mit den eigenen Händen.

Bis 3. Juni im Haus der Kunst, München. Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr, Do bis 22 Uhr. Katalog (Prestel Verlag) 49,95 Euro.

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Die Bronzeskul­ptur „Kopf mit Vogel“aus dem Jahr 1994 zeigt die enge Wechselbez­iehung zwischen Mensch und Tier.

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