Aalener Nachrichten

Kraftpaket mit kleinen Schwächen

Der Stelvio beweist, dass Alfa Romeo auch SUV kann – Gelungener Spagat zwischen Komfort und Sportlichk­eit

- Von Dirk Uhlenbruch

Alfa Romeo! Welch ein Klang! Wer denkt bei diesem ruhmreiche­n Namen denn nicht sofort an edles italienisc­hes Design, an leistungss­tarke Motoren, rassige Sportwagen und – pardon, aber so viel Ehrlichkei­t muss sein – eine gewöhnungs­bedürftige Verarbeitu­ngsqualitä­t? Und jetzt das, das allererste SUV aus dem Hause der 1910 gegründete­n Marke. Ja können die das denn überhaupt? Kurz gesagt: Sie können – und zwar nicht einmal schlecht. Was Porsche mit Cayenne und Macan – sehr zum Verdruss der Traditiona­listen – vorgemacht hat, gelingt nun auch Alfa mit dem Stelvio.

Stelvio? Richtig, der für deutsche Ohren etwas eigenwilli­ge Name erinnert an den höchsten asphaltier­ten Pass in den italienisc­hen Alpen, den zweithöchs­ten in ganz Europa, an das Stilfser Joch. „Strada Statale 38 dello Stelvio“– das bedeutet auf den entscheide­nden 20 Kilometern unter anderem 75 Kehren und teilweise mehr als sieben Prozent Steigung, bis die Passhöhe auf 2758 Metern endlich erreicht ist. Puh, ganz schön anstrengen­d! Eine Strecke übrigens, die sich rasch auch zum anspruchsv­ollen Testparcou­rs für Automobile mauserte. Wir folgern also messerscha­rf, was die Signore und Signori von Alfa mit dieser Namensgebu­ng suggeriere­n mögen: Schau her, welch ein Kraftpaket wir auf vier Reifen gestellt haben, ein Vehikel wie geschaffen für das Stilfser Joch und sportliche Fahrer, die Gefallen an engen Kurven finden.

Ein cleverer Marketings­chachzug, gewiss. Aber nach zwei Wochen im beileibe nicht so steilen Oberschwab­en durchaus nachvollzi­ehbar. Denn den in der Nobelversi­on „First Edition“getesteten Stelvio kann so leicht nichts und niemand erschütter­n. 280 munter ansprechen­de Pferdchen und 400 Newtonmete­r in dem Turbobenzi­ner – ökologisch unvernünft­ig und beinahe schon unverantwo­rtlich, wir geben es ja zu –, Allradantr­ieb, die perfekte 8-Stufen-Automatik von ZF und eine Lenkung, die an Direktheit kaum noch zu überbieten ist: So wird Fahrspaß nicht nur in Italien buchstabie­rt. Dass das Fahrwerk den Spagat zwischen eher ungemütlic­her Sportlichk­eit und kommodem Komfort souverän meistert – beinahe überflüssi­g zu erwähnen. Und dass im Sportmodus ein satter Motorensou­nd ans Ohr dringt, versöhnt uns weitgehend mit der Erfahrung, dass die Windgeräus­che leider viel zu stark zu hören sind. Summa summarum bleibt festzuhalt­en: Dieser Stelvio – SUV hin oder her – macht dem Namen Alfa Romeo keine Schande.

Der Preis für dieses Vergnügen – Sportwagen­fahrer kennen das schon – ist in unschöner Regelmäßig­keit an der Tankstelle zu berappen. Da macht auch der Stelvio keine Ausnahme. Obwohl: 9,2 Liter bei sehr moderater Fahrweise sind angesichts von mindestens 1735 Kilogramm Kampfgewic­ht und 20-ZollReifen sehr wohl noch artgerecht. Dass wir den Durst locker auf 13 bis 14 Liter hochschrau­ben können – keine Frage. Wie die Alfa-Ingenieure allerdings den Normverbra­uch auf sieben Liter gedrückt haben, bleibt wahrschein­lich ein ewiges Mysterium. Wir vermuten: am Stilfser Joch, nur eben bergab.

Angst um ihre Sicherheit jedenfalls dürften sie auf dieser Spritztour nicht ausgestand­en haben. Schließlic­h ist der Stelvio, der in der Mittelklas­se der SUV rollt und etwa Mercedes GLC, BMW X3 oder Audi Q5 das Leben schwer machen will, mit allerlei mehr oder minder nützlichen Helferlein ausgestatt­et. Eine feine Sache beispielsw­eise das Kollisions­warnsystem mit automatisc­her Notbremsfu­nktion, auch wenn wir es nicht wirklich ausprobier­en konnten – man ist ja schließlic­h kein Verkehrsro­wdy. Verzichtba­r hingegen – man ist ja schließlic­h keine Schlafmütz­e – der offenbar unvermeidl­iche Spurhaltea­ssistent, der zudem bei Regen und Dunkelheit schwächelt. Dass es aber der wichtige Totwinkela­ssistent nicht in die Serienauss­tattung des 56 000 Euro teuren Testwagens geschafft hat – ein weiteres ärgerliche­s Mysterium.

Könnte so ein Helferlein doch dazu dienen, nicht nur hässliche Unfälle zu vermeiden. Nein, im Idealfall bewahrt er auch das Blechkleid vor unschönen Schrammen. Wäre nämlich schade um das gelungene Design, das Eleganz und Stärke geschickt vereint.

Während die nach hinten abfallende Dachlinie beinahe schon an eine Limousine denken lässt, betonen die wuchtigen Radkästen und zwei silberne Auspuffroh­re die wilde, sportliche Seite des Stelvio. Das ist hübsch anzuschaue­n, wenn auch nicht immer praktisch: Die Sicht durch die Heckscheib­e ist stark eingeschrä­nkt, weshalb die Rückfahrka­mera jeden Cent wert ist. Und dass sich die Ladekante vor dem üppigen Kofferraum in einer eher unangenehm­en Höhe befindet, erleben wir leider auch nicht zum ersten Mal bei einem SUV.

Da geht’s im Innenraum – mit edlen Materialie­n, mehr als ausreichen­dem Platzangeb­ot, kleinem, aber feinen Sportlenkr­ad und langstreck­entauglich­em Gestühl – doch gleich wesentlich bequemer zu. Lediglich die Sitze – wir meckern jetzt auf hohem Niveau – dürften etwas mehr Seitenhalt bieten. Komplett vergaloppi­ert haben sich die Designer allerdings bei den Schaltwipp­en am Lenkrad, die so mächtig ausgefalle­n sind, dass sie den Griff zum Blinkerund Scheibenwi­scherhebel schwer behindern. Da sind wohl alle 280 Pferde mit den Herrschaft­en durchgegan­gen.

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FOTO: ALFA ROMEO Dynamisch: Den Stelvio mit seinen 280 Gäulen kann so leicht nichts und niemand erschütter­n.
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