AfD will Einfluss auf Betriebsräte nehmen
Partei stellt Listen gegen „Staatsgewerkschaften“auf – Bundesweites Zentrum bei Daimler
KÖLN/RAVENSBURG - Bei den Betriebsratswahlen im März könnten der AfD nahestehende Arbeitnehmervertreter deutlich an Einfluss gewinnen. Bei mehreren Autobauern hat die Partei eigene Listen aufgestellt oder unterstützt „unabhängige Kandidaten“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht die Aktivitäten kritisch. Der AfD-Sprecher für Arbeitnehmerfragen und Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl bestätigte die Ambitionen seiner Partei. „Wir werden uns an den Betriebsratswahlen beteiligen“, sagte Pohl der „Schwäbischen Zeitung“. Die Arbeitnehmerverbände im Umfeld der AfD „unterstützen unabhängige Kandidaten gegen die Listen der etablierten Gewerkschaften“, erklärt Pohl. „Wir machen soziale Politik ohne rot zu werden. Wir wollen den alten Filz beseitigen.“
Eines der bundesweiten Zentren der AfD-Aktivitäten ist Baden-Württemberg – und zwar der Autokonzern Daimler. Das von Oliver Hilburger 2009 gegründete „Zentrum Automobil“(ZA) errang 2014 zehn Prozent der Stimmen und vier Betriebsratsposten. Bei der im März beginnenden Betriebsratswahl tritt das ZA auch im Rastatter Daimler-Werk an und schickt bei den Autobauern Opel, VW, BMW und Audi ebenfalls Kandidaten in den Wahlkampf. Zwar gebe es keine direkten Verbindungen, aber „trotzdem überschneiden sich Zentrum und AfD inhaltlich und thematisch in ihrer Globalisierungs- und Kapitalismuskritik“, wie ZA-Sprecher Thorsten Häberle der „Schwäbischen Zeitung“erklärte. Man verstehe sich als „Alternative zu den Staatsgewerkschaften“.
„Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Ähnlich äußert sich DGBChef Reiner Hoffmann, wenngleich er zu Gelassenheit mahnt: „Dass Ideologen mit törichten Parolen die Betriebsratswahlen instrumentalisieren, ist nicht überraschend.“
Nach Meinung von Helene Sommer, zweite Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen, sind die AfD-Aktivitäten vor allem ein Problem von Großbetrieben. Dabei ist „das AfD-Programm erkennbar gewerkschaftsfeindlich und nicht mit unseren Zielen in Einklang zu bringen“, wie Roland Hamm von der IG Metall Aalen sagt.
KÖLN/RAVENSBURG - Daimlerchef Dieter Zetsche zögerte kurz, bevor er sich fasste und antwortete. „Wir verfolgen das mit Sorge“, sagte der Manager, um dann anzufügen: „Aber das Einzige, was wir tun können, ist, für die Werte, die wir für richtig halten, einzustehen.“Die Frage, auf die Zetsche bei der Bilanzpressekonferenz des Autobauers in Stuttgart mit belegter Stimme reagierte, bezog sich auf die Aktivitäten der Alternative für Deutschland (AfD) in Zetsches Unternehmen, die nach ihrem Einzug in den Bundestag nun auch bei den kommenden Betriebsratswahlen mitmischen will.
Nicht nur die Vorstandsetage bei Daimler blickt nervös auf die Neubesetzung der Gremien im März. Noch unruhiger sind die Verantwortlichen in den Führungsetagen der Gewerkschaften beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Nach außen um Gelassenheit bemüht, suchen die Arbeitnehmervertreter intern nach einem Umgang mit der rechten Partei und den von ihr unterstützten Betriebsratskandidaten.
Doch nicht nur die AfD, auch andere rechte und auch rechtsextremistische Gruppen bereiten sich darauf vor, Gewerkschaften wie der IG Metall und Verdi von März an Stimmen und Mandate abzujagen. Mit noch nie so guten Aussichten wie bei den bis Ende Mai dauernden Abstimmungen. Manche suchen dabei den Schulterschluss mit der AfD.
Der AfD-Sprecher für Arbeitnehmerfragen, der Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl, bestätigt die Ambitionen seiner Partei. „Wir werden uns an den Betriebsratswahlen beteiligen“, sagte Pohl der „Schwäbischen Zeitung“. Die Partei greift zwar nicht direkt als AfD in den Wahlkampf ein, wohl aber über Gruppen, die sich als Arbeitnehmerflügel der Partei verstehen. Pohl selbst hat eine dieser Gruppen gegründet. Er nennt sie Gewerkschaft: Alternativer Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland (Alarm). Außerdem gibt es Ava (Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer) – mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen – und Aida (Arbeitnehmer in der AfD).
Gemeinsam ist diesen Gruppen die Kritik an den DGB-Gewerkschaften, die aus Sicht der AfD nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmer vertreten würden. „Aida, Ava und Alarm unterstützen unabhängige Kandidaten gegen die Listen der etablierten Gewerkschaften“, sagt der Thüringer Pohl. „Wir machen soziale Politik, ohne rot zu werden. Wir wollen den alten Filz beseitigen.“
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann beschwichtigt. In einigen Firmen sei man „auch in der Vergangenheit mit Betriebsratslisten am rechten Rand konfrontiert“gewesen, sagt Hofmann. Deren „Erfolge“seien aber stets kaum wahrnehmbar gewesen. Rund 180 000 Betriebsräte werden im Frühjahr gewählt. Fast 80 Prozent sind derzeit Mitglied einer DGB-Gewerkschaft. Daran werde sich nichts grundlegend ändern. Auch DGBChef Reiner Hoffmann wiegelt ab. „Dass einige Ideologen mit törichten Parolen die Betriebsratswahlen für sich instrumentalisieren, ist nicht weiter überraschend“, sagt Hoffmann. Gleichwohl versichert er: „Wir beobachten die Entwicklung sehr genau.“
In vertraulichen Gesprächen verlieren die Gewerkschafter allerdings ihre Gelassenheit und reagieren gereizt. Denn es geht um mehr als nur ein paar Betriebsratsmandate, die rechte Gruppen erobern werden. Es geht für sie im Kern um die Frage, warum Arbeitnehmer AfD wählen (20 Prozent bei der Bundestagswahl) und warum überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder ihre Stimme der AfD gegeben haben: Es waren bundesweit 15 Prozent, in Ostdeutschland sogar 22 Prozent.
Aus diesem Grund tun sich die etablierten Gewerkschaften schwer, in der Auseinandersetzung mit rechten Kandidaten für Betriebsratswahlen trotz interner Leitfäden für die eigenen Funktionäre die richtigen Antworten zu finden. Das kratzt am Selbstverständnis und vor allem auch am Selbstbewusstsein der Gewerkschaften. Denn sie verstehen sich seit mehr als 100 Jahren als links und international. Nichts liegt ihnen eigentlich ferner als Parolen am rechten Rand.
Im Zentrum der Versuche der rechten Gruppen, in Betrieben stärker Fuß zu fassen, steht das Zentrum Automobil (ZA). Der 48-jährige Oliver Hilburger, geboren in Backnang bei Stuttgart, hat das Zentrum 2009 mit Beschäftigten des Daimlerkonzerns gegründet. Im Stammwerk Untertürkheim bekam ZA 2014 zehn Prozent der Stimmen und damit vier Betriebsratsposten. Das ZA versteht sich als „unabhängige Gewerkschaft“, wendet sich gegen „Co-Management“der IG Metall und „faule Kompromisse“. Man sieht sich als „alternative Arbeitnehmervertretung“zu den „Staatsgewerkschaften“. ZA-Sprecher Thorsten Häberle sagte der „Schwäbischen Zeitung“, man sei „gemäß Satzung zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet“. Es gebe „keine direkten Verbindungen“, aber trotzdem „überschneiden sich Zentrum und AfD inhaltlich und thematisch in ihrer Globalisierungsund Kapitalismuskritik“. Man fordere „eine neue Sozialpolitik für Arbeiter und Angestellte“.
2018 tritt Hilburgers Gruppierung auch bei Daimler in Rastatt an. Nicht zuletzt das ist der Grund für die Sorgenfalten Zetsches. Bei den Autobauern Opel, VW, BMW und Audi schickt das ZA ebenfalls Kandidaten in den Wahlkampf. Widersprüchlich ist die Lage bei Ford. „Das Zentrum tritt mit zahlreichen alternativen Listen an vielen Standorten an und unterstützt auch oppositionelle Kandidaten anderer Listen“, sagt ZA-Sprecher Häberle. Es ist die Rede von bis zu 500 Bewerbern.
Nach Recherchen des ZDF-Magazins „Report Mainz“kommen mehrere ZA-Führungsmitglieder aus der rechtsextremen Szene oder haben eine klar rechte Vergangenheit. Andere Personen, mit denen das ZA diesen Informationen zufolge zusammenarbeitet, geben sich nationalistisch und schimpfen auf Flüchtlinge. ZA-Chef Oliver Hilburger war nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“früher Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“, die er 2008 kurz vor ihrer Auflösung verließ. Die Zeitung berichtet zudem, Hilburger habe sich 2001 „um eine Besuchserlaubnis für den heute als NSU-Waffenbeschaffer beschuldigten Sachsen Jan Warner in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg bemüht“. Die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hatte Musik der Band für ein Video genutzt. Der ZA-Schatzmeister war früher aktiv in der Wiking-Jugend, die wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus verboten wurde. Die Liste der Kandidaten für die Betriebsratswahl bei Daimler in Rastatt wird angeführt von einem früheren Mitglied der badischen NeonaziSzene, das der Verfassungsschutz eine Zeit lang beobachtet hat.
Im November nahm Hilburger in Leipzig an einem Treffen teil, bei dem Vertreter verschiedener rechter und rechtsextremistischer Gruppen versucht haben, ihre Streitigkeiten zu überwinden und sich für die Betriebsratswahlen zu rüsten. Auch Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im thüringischen Landtag, und PegidaGründer Lutz Bachmann waren anwesend. Als Hauptstrippenzieher der Runde gilt Jürgen Elsässer. Der aus Pforzheim stammende Chef der rechten Zeitschrift „Compact“verkündete in Leipzig: „Wir eröffnen eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes.“Dazu wandelt der 60-Jährige den Spruch der internationalen Gewerkschaftsbewegung um: „Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will.“Blau ist die Farbe der AfD.
In Sachsen tritt Hilburgers Gruppe unter dem Namen „IG Beruf und Familie“bei der Betriebsratswahl im Leipziger BMW-Werk an. Spitzenkandidat ist Frank Neufert. Neufert, Bundesvize von Aida und Kreistagsabgeordneter der AfD in Zwickau, wirbt mit der Parole für sich, dass die Organisationen aus dem Westen den Osten verraten hätten.
Neuferts Aktivtäten bereiten der IG Metall in Sachsen große Probleme. Gewerkschaftsmitglieder seien „in politischen Fragen überhaupt nicht mehr auf unserer Linie“, sagt der Zwickauer IG-Metall-Chef Thomas Knabel. Sein Dresdener Kollege Joern Kladen stellt fest: „Die Leute sagen, von 8 bis 17 Uhr bin ich Metaller, was ich danach mache, geht euch nichts an.“
Den Gewerkschaftsforscher und Soziologen Klaus Dörre wundert das nicht. „Es gibt schon lange ein ernst zu nehmendes rechtspopulistisches Potenzial unter den Gewerkschaftsmitgliedern“, sagt der Wissenschaftler aus Jena . In den Chefetagen der Gewerkschaften herrschten „Ratlosigkeit und Problemverdrängung“.
Ein fatale Mischung, die zu einem großen Teil die Sorgen von Daimlerchef Dieter Zetsche erklärt.