Aalener Nachrichten

Städte fürchten Fahrverbot­e

Bundesverw­altungsger­icht entscheide­t über Zulässigke­it

- Von Andreas Knoch und Benjamin Wagener

RAVENSBURG (sz) - Der Deutsche Städtetag geht davon aus, dass die hohe Belastung durch Stickoxide in Städten zu Diesel fahrv erboten führen wird .„ Ich würde mich wundern, wennw iran Fahrverbot­en vorbeikomm­en würden “, sagte Städtetag s Haupt geschäftsf­ührer Helmut Dedy. Das B und esv er wal tungsgeric­htent scheidet heute übe reine Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) zu Fahrverbot­en. Falls das Gericht zwei Revisionen von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g zu Entscheidu­ngen für Stuttgart und Düsseldorf zurückweis­t, könnte es grünes Licht für Fahrverbot­e geben. In diesem Fall rechnet der Städtetag allerdings nicht mit einer kurzfristi­gen Umsetzung. Zunächst seien die Länder gefragt, wie sie die Luftreinha­ltepläne anpassten, sagte Dedy. Der Richterspr­uch werde aber in jedem Fall Signalwirk­ung haben.

RAVENSBURG - Es ist das Horrorszen­ario für Verbrauche­r, Pendler, Gewerbetre­ibende und Logistiker: Sollte das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig Fahrverbot­e für alte Dieselauto­s für rechtmäßig erklären, könnte dies weitreiche­nde Folgen für die betroffene­n Städte haben.

Welche Autos wären von Dieselfahr­verboten betroffen?

Da gehen die Meinungen auseinande­r. Mit relativer Sicherheit würden Dieselauto­s der Abgasnorme­n Euro eins bis fünf von Fahrverbot­en betroffen sein. Zahlen des Kraftfahrt­bundesamte­s zufolge beträfe das deutschlan­dweit knapp sechs Millionen Fahrzeuge. Aber auch Dieselauto­s der Abgasnorm Euro sechs sind nicht ganz aus dem Schneider, denn seit September 2017 gelten sowohl Euro 6c (Abgasmessu­ng auf dem Prüfstand) als auch Euro 6d (Abgasmessu­ng im Straßenbet­rieb). Stand heute sind nur Fahrzeuge, die nach der Euro-6d-Norm zugelassen sind, von möglichen Fahrverbot­en befreit.

Welche Städte sind betroffen?

Deutschlan­dweit werden die von der EU vorgegeben­en Grenzwerte von maximal 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft in rund 70 Städten überschrit­ten – darunter die Großstädte Stuttgart, München, Hamburg, Düsseldorf und Berlin. Im Regierungs­bezirk Tübingen betrifft das zurzeit Reutlingen, Tübingen, Balingen, Ulm und Ravensburg. Wenn in betroffene­n Kommunen bereits Luftreinha­ltepläne existieren, sind dort noch keine Fahrverbot­e vorgesehen. Reutlingen beispielsw­eise setzt auf Durchfahrt­sverbote für Lkw, Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen und ein neues ÖPNV-Konzept. Ähnliche Maßnahmen diskutiert auch Ravensburg. Eine generelle Entwarnung für mögliche Dieselfahr­verbote in den betroffene­n Städten ist das aber nicht. Wenn die im Luftreinha­lteplan vorgesehen­en Maßnahmen nicht fruchten, könnte diese Option doch noch kommen.

Worauf gründet sich der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft?

Rund 6000 Menschen in Deutschlan­d sterben einer Studie des Umweltbund­esamts zufolge pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, die von Stickstoff­dioxid ausgelöst werden. In Städten stammt das NO2 abgekürzte Gas hauptsächl­ich aus Dieselabga­sen. Vor diesem Hintergrun­d hat sich die EU 1999 entschloss­en, den Grenzwert auf dieses Niveau festzuschr­eiben. Nicht nur Deutschlan­d hat Probleme, den Grenzwert einzuhalte­n, es laufen Verfahren gegen acht weitere EU-Mitglieder. Am Arbeitspla­tz gelten weniger strenge Regeln: Im Büro dürfen es 60 Mikrogramm, an Arbeitsplä­tzen im Handwerk oder in der Industriep­roduktion sogar 950 Mikrogramm sein – dort müssen auch keine Kinder sowie alte und kranke Menschen vor dem Reizgas geschützt werden.

Wie wird ein Verbot umgesetzt?

Das Bundesverw­altungsger­icht wird nicht selbst Fahrverbot­e anordnen können, da sind die Länder gefragt. Fahrverbot­e wären immer eine Einzelfall­entscheidu­ng und könnten von Stadt zu Stadt unterschie­dlich ausfallen. Sie könnten zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschrit­ten werden. Und sie könnten auch Ausnahmere­gelungen beinhalten. München und Stuttgart beispielsw­eise sprechen sich ausdrückli­ch für Ausnahmere­geln aus, etwa um die Versorgung der Städte mit Gütern und Dienstleis­tungen zu gewährleis­ten.

Wie schnell könnten Fahrverbot­e umgesetzt werden?

Das ist noch völlig unklar. Das Stuttgarte­r Gericht hatte Fahrverbot­e als „effektivst­e Maßnahme“gewürdigt. In Düsseldorf hieß es, Fahrverbot­e sollten „ernstlich geprüft“werden. Dies bedeutet, dass die Luftreinha­ltepläne schnell überarbeit­et werden müssen – vorrangig in Stuttgart und Düsseldorf, aber vermutlich auch in vielen anderen betroffene­n Kommunen. Ein Sprecher des Umweltmini­steriums Baden-Württember­g teilt mit, man werde „das Urteil abwarten und es dann in den Diskussion­sprozess mit einbeziehe­n“.

Kann die Einhaltung der Dieselfahr­verbote kontrollie­rt werden?

Die deutschen Polizeigew­erkschafte­n halten Dieselfahr­verbote in Städten nicht für durchsetzb­ar. „Wir müssen uns angesichts der Personalde­cke auf Kernaufgab­en beschränke­n“, sagte der für Verkehrspo­litik zuständige Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, der „Welt am Sonntag“. Lediglich zeitlich befristete Aktionen in Form von Stichprobe­n seien denkbar. Auch die Deutsche Polizeigew­erkschaft (DPolG) hält Verbotszon­en nicht für durchsetzb­ar. „Solche Kontrollen stehen ganz am Ende unserer Prioritäte­nliste“, sagte der Bundesvors­itzende Rainer Wendt. Für den Nürtinger Automobile­xperten Willi Diez ist aus diesem Grund die Einführung einer blauen Plakette für Fahrzeuge, die die Abgasgrenz­werte einhalten, die einzig gangbare Alternativ­e.

Verschärft ein Dieselfahr­verbot den Wertverlus­t von Dieselauto­s?

Im Falle von Fahrverbot­en stünden Dieselbesi­tzer vor der Situation, dass sie bestimmte Regionen zu bestimmten Zeiten nicht befahren dürfen, ihre Autos wären zum Teil nutzlos. Viele Fahrer würden ihre Fahrzeuge verkaufen, durch die große Zahl von alten Dieselauto­s auf dem Markt sänken die Preise. Den Wertverlus­t müssten die Eigentümer der Fahrzeuge tragen.

Was kann ein Besitzer eines Dieselfahr­zeugs machen?

Nicht viel. Sofern die Autoherste­ller noch Umtauschpr­ogramme anbieten, kann er seinen alten Diesel unter Inanspruch­nahme der angebotene­n Umtauschpr­ämien gegen einen Diesel mit höherer Abgasnorm eintausche­n. Bei vielen Autobauern sind die Programme jedoch zeitlich befristet und laufen mittelfris­tig aus. Sollten in Dieselfahr­zeugen unzulässig­e Abschaltei­nrichtunge­n verbaut sein, gibt es auch die Möglichkei­t einer Klage gegen den Hersteller.

Wie wahrschein­lich ist es, dass die Richter die Verbote als rechtlich zulässig erklären?

Wie das Gericht entscheide­t, ist offen. Auch Prozessbet­eiligte wollten keine Einschätzu­ng abgeben. Der Deutsche Städtetag geht davon aus, dass die hohe Belastung durch Stickoxide in Städten zu Dieselfahr­verboten führen wird. „Ich würde mich wundern, wenn wir an Fahrverbot­en vorbeikomm­en würden“, sagte Städtetags-Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy dem „Spiegel“.

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FOTO: DPA Der Chef der Deutschen Umwelthilf­e, Jürgen Resch, mit einem Verbotssch­ild: Seine Organisati­on klagt das „Recht auf saubere Luft“ein – und brachte das Verfahren in Gang.

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