Aalener Nachrichten

75 Jahre Weiße Rose

Neue Bücher über Sophie Scholl und ihre Mitstreite­r

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Eigentlich wurde der Widerstand der Weißen Rose und der Geschwiste­r Scholl in den vergangene­n 20 Jahren schon gut erforscht. Doch Jahrestage – wie die Hinrichtun­g der Geschwiste­r Scholl am 22. Februar vor 75 Jahren – beflügeln Verlage. Im Beck Verlag ist aktuell Robert M. Zoskes Buch „Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose“erschienen.

Der Autor, bis 2017 Pfarrer in Hamburg, verarbeite­t darin seine 2014 entstanden­e theologisc­he Dissertati­on über das Weltbild und die Religiosit­ät von Hans Scholl. Pastor Zoske kommt zu dem Schluss, Scholls Antrieb zum Widerstand wurzle tief im christlich­en Glauben, der wiewohl stark lutherisch geprägt, überkonfes­sionell angelegt gewesen sei. „Er suchte keine Konfession, sondern das Wesen des Christentu­ms.“

Sehr überrasche­nd ist diese Erkenntnis nicht. Allerdings haben die Recherchen von Eva Moser oder Barbara Beuys ergeben, dass durch Otl Aicher vor allem Bücher der aus Frankreich kommenden Vertreter der katholisch­en Erneuerung­sbewegung im Hause Scholl eingeführt wurden. Eva Moser hat das in ihrer Arbeit über Otl Aicher (Ostfildern 2011) und Barbara Beuys in ihrem Buch über Sophie Scholl (München 2010) sehr gut herausgear­beitet. Denn der später als Designer bekannte Otl Aicher war von Anfang an, beeinfluss­t durch die katholisch­e Jugendgrup­pe des Söflinger Pfarrers Weiß, ein Gegner des Nationalso­zialismus. Das kann man von den Scholl-Kindern nicht behaupten: Inge und Sophie Scholl waren BDMFühreri­nnen, Hans Fähnleinfü­hrer bei der Hitlerjuge­nd.

Neu ist eine andere These Zoskes: Er führt die Wandlung vom begeistert­en NS-Jugendführ­er zum aktiven Widerstand­skämpfer auf die Verhaftung Scholls am 13. Dezember 1937 zurück. Seit der Veröffentl­ichung von Inge Aicher-Scholls Buch über ihre Geschwiste­r und die Weiße Rose hieß es stets, Hans Scholl sei wegen seiner Aktivitäte­n in der Bündischen Jugend verfolgt worden. Diese Aussage ist seit der Auswertung der Sondergeri­chtsakten durch den (ansonsten durchaus umstritten­en) Historiker Sönke Zankel nicht mehr haltbar. Hans Scholl war 1937 wegen homosexuel­ler Handlungen nach dem Paragrafen 175 angeklagt. Nun geht Zoske noch einen Schritt weiter. Er schreibt, die zweiwöchig­e Haft im Dezember 1937 und die quälende Unsicherhe­it, bis das Verfahren am 2. Juni 1938 schließlic­h eingestell­t wurde, habe Scholl als Zeit der Prüfung empfunden. Er habe sich vor seinen Eltern geschämt, aber auch das Verstecksp­iel in der Kaserne gefürchtet. Der 19-jährige Medizinstu­dent und Soldat begann zu schreiben: Gedichte, aber auch Prosa und Briefe, viele Briefe.

Hans Scholls literarisc­he Arbeiten

Zoske hat diese Quellen im über 100 Bände umfassende­n Nachlass von Inge Aicher-Scholl entdeckt, der im Institut für Zeitgeschi­chte München aufbewahrt wird. Hans Scholls literarisc­he Arbeiten sind nun in seinem Buch abgedruckt. Man lernt einen jungen Menschen kennen, der sich sucht, der seitenlang­e Gedichte im George-Stil schreibt und um Antworten auf existenzie­lle Fragen ringt.

Der Widerstand der Weißen Rose dürfte – zumindest im Westen Deutschlan­ds – lange Zeit der bekanntest­e gewesen sein. Das ist klar das Verdienst von Inge AicherScho­ll. 1952 hat sie ihren Geschwiste­rn mit dem Buch „Die Weiße Rose“ein Denkmal gesetzt. Über eine Million mal ist es seither verkauft worden.

Doch Aicher-Scholls Engagement war auch nicht unproblema­tisch. Sie wollte partout immer die Herrin bleiben über die Erinnerung an ihre Geschwiste­r. Ihr unbeirrtes Festhalten am Mythos kollidiert­e leider oft mit dem Erkenntnis­interesse der Geschichts­wissenscha­ft. Zoske schreibt: „Aicher-Scholl verschwieg aus moralisch-taktischen Gründen die homoerotis­che Seite ihres Bruders – zeitbeding­t erklärbar, doch geschichtl­ich fatal.“Aicher-Scholl habe sicher richtig vermutet, dass „weder ein Schwuler noch ein des Kommunismu­s Verdächtig­er als Held vermittelb­ar“gewesen wäre.

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FOTO: DPA
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FOTOS: DPA (LINKS), MICHAEL SCHEYER Auf Stein gedruckt erinnern Abbilder der Flugblätte­r von Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst (von links) vor der Münchner LudwigMaxi­milians-Universitä­t an die Widerstand­skämpfer.
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