Aalener Nachrichten

Gallische Dörfer

Immer mehr Alte auf dem Land – In Oberschwab­en und auf dem Heuberg trotzen die vier jüngsten Gemeinden des Landes dem Trend

- Von Michael Hochheuser und Simon Haas

BUBSHEIM - Allmanswei­ler und Untermarch­tal trennen nur der Federsee und 30 Kilometer Bundesstra­ße. Träfen sich die Bewohner beider Gemeinden aber auf einer Ü30-Party im Dorfgemein­schaftshau­s, die Untermarch­taler wären wohl weitgehend unter sich – und sähen ziemlich alt aus. Im Schnitt haben sie nämlich gut zwölf Jahre mehr auf dem Buckel als die Bürger aus Allmanswei­ler. Damit sind sie die zweitältes­te Gemeinde in ganz Baden-Württember­g. Und nicht nur beim Alter könnten die Dörfer unterschie­dlicher nicht sein: 20 Prozent der Einwohners­chaft in Untermarch­tal sind Nonnen im Alter von durchschni­ttlich 81 Jahren.

Das erklärt, warum es in der Klostergem­einde ein so hohes Durchschni­ttsalter gibt – aber warum ist Allmanswei­ler mit 38,6 Jahren so jung? Und was hat das Dorf gemeinsam mit Bubsheim im Kreis Tuttlingen, mit 38,4 Jahren die jüngste Gemeinde Baden-Württember­gs, und dem oberschwäb­ischen Riedhausen (38,5) und Horgenzell (38,8)?

Junge Familien statt Studenten

Anders als im studentisc­h geprägten Freiburg und Tübingen sind es auf dem Land vor allem Familien, die einzelne Kommunen verjüngen: In Riedhausen etwa standen nach vielen Hofaufgabe­n Ställe und Maschinenh­allen leer, junge Paare lockte die Gemeinde mit Renovierun­gszuschüss­en aus dem Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum. Heute leben sie in schmucken Fachwerkhä­usern mit verglasten Fronten. Wer nicht im Ortskern wohnt, kommt ein paar hundert Meter weiter im Neubaugebi­et unter. In Allmanswei­ler mit seinen knapp 300 Einwohnern kommt noch hinzu, dass es im Dorf kein Altenheim gibt.

Was die oberschwäb­ischen Rekordgeme­inden ebenfalls gemeinsam haben, ist ein hoher Geburtensa­ldo. Ist dieser positiv, werden mehr Menschen geboren als Menschen sterben. Untermarch­tal hat, mit Abstand, den niedrigste­n in ganz BadenWürtt­emberg, in Allmanswei­ler, Riedhausen und Horgenzell liegt er weit über dem Landesdurc­hschnitt von 0,7 pro 1000 Einwohner. Nur in Bubsheim nicht.

Auf dem Heuberg muss es also einen anderen Grund geben für die stetige Verjüngung seit 2013.

Die Grabowskis sind so ein Jungbrunne­n. Die Familie aus Polen steht stellvertr­etend für eine Entwicklun­g, die vor rund fünf Jahren in der 1400Einwoh­ner-Gemeinde begann. In Polen war Hubert Grabowski unzufriede­n: Dort arbeitete er zwar als Abteilungs­leiter, mit seinem Informatik­studium hatte sein Job aber wenig zu tun. Deshalb schaute er sich im Internet nach Stellen um und stieß schließlic­h auf die Bubsheimer Anton Häring KG, die in Polen eine Niederlass­ung hat. Häring stellt Drehteile für die Automobili­ndustrie und deren Zulieferer wie Bosch oder ZF her.

Deutschkur­s bei der Firma

Heute arbeitet er in Bubsheim in der EDV-Abteilung von Häring. Im Jahr 2014, nach einem Jahr Probephase, holte der 28-Jährige seine Familie nach: Ehefrau Kamila (26) und die beiden Söhne Kajetan (7) und Marcel (4), die inzwischen beim SV Bubsheim kicken und an der Grundschul­e schnell Freunde gefunden haben. „Wir haben gesehen, dass es hier einfach besser ist.“Mitentsche­idend sei die Unterstütz­ung durch seinen Arbeitgebe­r gewesen: Häring habe sich um die Wohnung gekümmert, selbst Deutschunt­erricht erhielt er bei der Firma.

Die Grabowskis schätzen die Infrastruk­tur, die Bubsheim jungen Menschen bietet: „Wir haben drei Spielplätz­e zur Auswahl – der schönste ist an der Schule“, sagt Kamila Grabowski, die auch bei Häring arbeitet, in der Qualitätsk­ontrolle. Bei den sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­ten Frauen ist Bubsheim übrigens ebenfalls Rekordhalt­er: Die Quote von 75,6 Prozent ist die höchste im ganzen Land. „Wir können uns vorstellen, für immer in Bubsheim zu bleiben“, sagen die Grabowskis.

Über solche Sätze freut sich Thomas Leibinger. Seit 2012 ist er hier Bürgermeis­ter. Im Januar 2018 hatten sich in seiner Gemeinde gerade einmal sieben Menschen arbeitslos gemeldet, alle waren älter als 50. Bei den Jungen herrscht Vollbeschä­ftigung.

Bei den 20- bis 30-Jährigen ist auch der Ausländera­nteil am höchsten. Insgesamt liegt er laut Leibinger bei rund 24 Prozent. Während sich vor 30 Jahren vor allem Russlandde­utsche in Bubsheim ansiedelte­n, kommen jetzt Polen und Rumänen. 2013 war noch jeder sechste Arbeitnehm­er in Bubsheim Ausländer, inzwischen ist es fast jeder dritte.

Der Großteil bleibt nicht lange

Einen großen Anteil an dieser Entwicklun­g hat die Aus- und Weiterbild­ung an der Häring-Akademie: Dadurch kommen laut Leibinger viele junge Leute aus den USA, China oder Osteuropa ins Maschinenb­au-Eldorado auf den Heuberg. „Einige wollen hier bleiben, der Großteil bleibt zwei bis drei Jahre – aber dann kommen wieder neue nach.“Das ist auch der Grund, warum der Geburtensa­ldo nur leicht über dem Landesschn­itt liegt: Viele Neu-Bubsheimer bringen ihre Kinder aus dem Ausland mit – oder kriegen sie später woanders.

Um junge Familien im Ort zu halten, gehe die Kommune „frühzeitig daran, Wohnbauplä­tze auszuweise­n“. „Viele Familien wohnen hier noch zur Miete und wollen raus“, sagt Leibinger. Im ursprüngli­chen Ortskern hat die Gemeinde alte Immobilien aufgekauft und abgerissen, um neuen Wohnraum zu schaffen. Inzwischen hat Bubsheim eine Eigenheimq­uote von mehr als 85 Prozent.

Dass es auch künftig so rosig weiterläuf­t, ist jedoch alles andere als sicher. Denn Elektromob­ilität und Digitalisi­erung machen auch vor dem Heuberg nicht halt. Der Fokus auf die Metallbear­beitung und Automobili­ndustrie – Bubsheim hat die höchste Branchenko­nzentratio­n im Land – birgt Risiken, dessen ist sich auch der Bürgermeis­ter bewusst. „Die Firmen in Bubsheim – es sind alles inhabergef­ührte Familienbe­triebe - stellen sich schon heute darauf ein und versuchen sich strategisc­h richtig zu positionie­ren“, sagt er. Zukunftsän­gste hätten dabei in der Vergangenh­eit keine Rolle gespielt und würden es auch künftig nicht.

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FOTOS: ARCHIV/WIKIMEDIA/SOM Neubaugebi­ete in Bubsheim (oben) und Horgenzell, rechts das Kloster Untermarch­tal mit Pflegeheim und der an ein Silo erinnernde­n Mutterhaus­kirche.
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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Neu-Bubsheimer: die polnische Familie Grabowski.

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