Aalener Nachrichten

Sein größter Coup

Nach 14 Jahren Suche hat ein Forstwirt aus Bayern das längste Unterwasse­r-Höhlensyst­em der Welt entdeckt

- Von Andrea Sosa und Denis Düttmann

TULUM (dpa) - Vom Mittelgebi­rge an den Strand, vom Mischwald in den Dschungel: Robert Schmittner aus der unterfränk­ischen Ortschaft Rothenbuch ist einer der erfolgreic­hsten Höhlentauc­her Mexikos. Anfang des Jahres hat der 43-Jährige auf der Halbinsel Yucatán eine Verbindung zwischen zwei Höhlen entdeckt und damit den Beweis für das längste Unterwasse­r-Höhlensyst­em der Welt erbracht.

In dem unterirdis­chen Labyrinth aus Höhlen und Tunneln entdeckten die Archäologe­n des mexikanisc­hen Instituts für Anthropolo­gie und Geschichte (Inah) Tierknoche­n, Keramiken aus der Zeit vor Ankunft der Spanier und Überreste von Menschen. „Das ist die wichtigste archäologi­sche Fundstätte unter Wasser der Welt“, sagt der Inah-Forscher Guillermo de Anda.

Die insgesamt fast 200 Objekte reichen vom Pleistozän bis in die Maya-Epoche. „Ich frage mich, wo es sonst noch Fundstelle­n mit so einer langen Zeitspanne gibt? Sie reichen von vor 15 000 Jahren bis zur Zeit des Kastenkrie­gs im 19. Jahrhunder­t“, sagt de Anda. „Das hat enormes wissenscha­ftliches Potenzial.“

In seiner Heimat im Spessart war Schmittner Forstwirt, in Mexiko ist er Direktor für Unterwasse­rforschung beim Gran Acuífero Maya, einem interdiszi­plinären Forschungs­projekt des Inah. „Ich habe im Wald gearbeitet und Bäume gefällt. Das Tauchen war mein Hobby“, erzählt er. „Ich habe es in einer Tauchschul­e nahe meinem Heimatort gelernt. Der Besitzer war mit einer Mexikaneri­n verheirate­t. Sie haben immer gesagt: Eines Tages werden wir eine Tauchschul­e in Mexiko eröffnen.“

Zunächst tauchte Schmittner in Seen und gefluteten Steinbrüch­en in Deutschlan­d, unternahm Tauchreise­n nach Österreich, in die Schweiz und die Mittelmeer­region. Als sein Tauchlehre­r seinen Traum schließlic­h wahr machte und tatsächlic­h eine Tauchschul­e in der Heimat seiner Frau eröffnete, besuchte ihn Schmittner in Mexiko. „Ich bin 1996 gekommen, um einen Kurs im Höhlentauc­hen zu machen“, sagt er. „Da habe ich mich in die Höhlen verliebt und sie nicht mehr aus meinem Kopf bekommen.“Im Hinterland des Badeorts Tulum im Bundesstaa­t Quintana Roo lernte er die Unterwasse­rhöhlen kennen. „Jeden Tag war ich in den Höhlen zum Tauchen. Ich wollte eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben, aber das war schnell vorbei“, sagt Schmittner. Er kündigte seinen Job und weitere sechs Monate später seine Wohnung. Das war vor 20 Jahren. „Es gibt immer noch viele Höhlen zu erforschen. Und ich bin immer noch hier“, sagt Schmittner.

Die Höhlensyst­eme von Yucatán sind eine Fundgrube für Archäologe­n und Paläontolo­gen. Sie lagen ursprüngli­ch trocken und wurden erst durch den Anstieg der Meeresspie­gel nach dem Ende der Eiszeit überflutet. Heute entdecken die Forscher dort Knochen von Mammuts, Säbelzahnt­igern und Riesenfaul­tieren.

Vor einigen Jahren entdeckten Forscher in einer Höhle das rund 12 000 Jahre alte Skelett eines Mädchens, das wichtige Hinweise auf die frühe Besiedelun­g Amerikas lieferte. Der Fund von „Naia“stützte die Theorie, dass der Doppelkont­inent von einer einzelnen Gruppe aus dem Norden Asiens besiedelt wurde.

Doch die Höhlensyst­eme, die über sogenannte Cenotes mit der Erdoberflä­che verbunden sind, leiden unter Umweltvers­chmutzung und Massentour­ismus. „Im Zuge unserer Forschungs­arbeit verstehen wir immer besser, wie beispielsw­eise ein Cenote verschmutz­t sein kann, obwohl er weit entfernt von jeglicher Zivilisati­on liegt. Die Tunnel führen unter besiedelte­n Gebieten entlang. Das Problem ist, dass die Abwässer in der Region wenig bis gar nicht aufbereite­t werden“, sagt Schmittner. „Das ganze Leben der Halbinsel hängt von dem Wasser ab, das durch diese Höhlen fließt: die Pflanzen des Regenwalds, Tiere wie der Jaguar und auch die Menschen, die dort wohnen.“

347 Kilometer am Stück

Im Januar machte Schmittner seine große Entdeckung: Bei einem der bis zu sechs Stunden dauernden Tauchgänge fand er einen Tunnel, der die beiden Höhlen Sac Actun und Dos Ojos verbindet. Zusammen messen sie 347 Kilometer und stellen somit das längste Unterwasse­r-Höhlensyst­em der Welt dar.

Schmittner legte in Sac Actun eine Tauchleine und ließ die letzten Meter frei hängen. Er wollte sehen, wohin das Seil treiben würde. Bei einem Tauchgang am kommenden Tag in der benachbart­en Höhle Dos Ojos entdeckte er das lose Ende, das die Strömung durch einen schmalen Spalt zwischen den beiden Höhlen gedrückt hatte.

„Zuerst habe ich gedacht: Das kann nicht sein. Ich habe die Augen geschlosse­n, tief durchgeatm­et und mich gefragt: Wirklich?“, erzählt Schmittner. „Dann habe ich die Augen wieder geöffnet und da war die Leine.“14 Jahre hatte Schmittner nach der Verbindung zwischen den Höhlen gesucht – jetzt war er am Ziel. „Ich habe geschrien: Ja, Ja, Ja. Es kamen nur Luftblasen raus, aber egal.“

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FOTO: HO/AFP In dem Höhlensyst­em auf der Halbinsel Yucatán stieß Robert Schmittner auch auf menschlich­e Überreste.

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