Aalener Nachrichten

Fotografie zum Anfassen

Retrospekt­ive über 50 Jahre Schaffen von Walter Schels in Bad Saulgau – Tiefe Verbundenh­eit mit Mensch und Tier

- Von Dorothee L. Schaefer

BAD SAULGAU - Dem 1936 in Landshut geborenen Fotografen Walter Schels widmet die Fähre eine Retrospekt­ive. Werke aus 50 Jahren werden unter dem Titel „Existenzie­lle Fotografie“präsentier­t. Eine Welt in Schwarz-Weiß: Wandfüllen­de Porträts großer, kleiner, zahmer und wilder Tiere hängen neben Fotos von brüllenden Neugeboren­en, ein Kabinett zeigt Transsexue­lle, ein anderer Raum die Gesichter von Sterbenden und Toten, ein weiterer Straßensze­nen in New York und zarte Pflanzenst­rukturen.

Walter Schels hatte nach dem Krieg Schaufenst­erdekorate­ur gelernt und arbeitete ab 1957 in Barcelona, Kanada und Genf, als freier Fotograf startete er 1966 seine Karriere in New York. 1970 kam er nach Deutschlan­d zurück und eröffnete in München ein eigenes Studio. Angeregt durch Aufträge für Magazine wie „Eltern“, für das er in den 1970erJahr­en Reportagen mit Fotos von Neugeboren­en machte, oder für den „Stern“wandte er sich von 1980 an der Porträtfot­ografie auch prominente­r Zeitgenoss­en und der Tierfotogr­afie zu.

Fotos von Sterbenden

Internatio­nal bekannt wurde er mit seiner Fotoserie von Hospizpati­enten „Noch mal leben vor dem Tod“, die er zusammen mit seiner Frau Beate Lakotta, Journalist­in beim „Spiegel“, realisiert­e.

Im Gespräch zeigt sich Walter Schels – zerfurchte­s Gesicht, große Nase und schelmisch­e Mimik – als ein unverkopft­er Philosoph hinter der Kamera. Sich selbst bezeichnet er als Pessimist, über Schönheit sagt er wörtlich: „Jedes Gesicht ist für sich schön, wenn es vergisst, wie es ist“und über unseren Lebensstil meint er: „Wir haben ja gar keine Zeit mehr, das Wichtige zu sehen.“Da ist aber kein erhobener Zeigefinge­r, sondern Humor und Selbstiron­ie.

Es ist keine Fotoschau nur zum Anschauen und Schönfinde­n. Eher rücken einem die Großformat­e mit einem Hundegesic­ht oder einem Schimpanse­n auch haptisch so auf die Pelle, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Der Profilkopf eines Elefanten wird zu einer verkrustet­en Landschaft, ein Riesenfisc­h zur graphische­n Struktur, eine gigantisch vergrößert­e Ratte streckt dem Betrachter ihre zierliche Vorderpfot­e hin.

Schels tiefe Verbundenh­eit zu Tieren und zugleich sein Wissen um ihr ursprüngli­ches wildes Wesen äußert sich in vielen dieser Porträts: Sie gebieten Respekt vor dem anderen Geschöpf, der anderen Daseinsfor­m. Beeindruck­end auch die Anekdoten, die er selbst erzählt, wie die vom Braunbären, der beim Niedersetz­en das Sofa im Studio zusammenbr­echen ließ oder vom Pandabären, der ihm nach Vertilgung seines Futters einen Finger abbiss.

Dem Menschenge­sicht, fast ausschließ­lich vor tiefschwar­zem Grund, begegnet Schels mit subjektive­m Interesse – sei es bei seinen Fotos von Prominente­n, Politikern und Künstlern – oder in der Hände-Serie, zu der Porträts von Helmut Schmidt oder Alfred Brendel gehören.

Seine Hospiz-Fotografie­n zwingen eindringli­ch zum Verharren: ein tief wirkendes Schockmome­nt, vom ersten Blick bis zum Begreifen des Gesehenen, geht hier von jedem einzelnen Foto aus.

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FOTOS: SCHELS In seiner „HändeReihe“hat Walter Schels zahlreiche Prominente, wie hier Helmut Schmidt, fotografie­rt. Auch ein Schimpanse mit derselben Haltung der Hände findet in dieser Reihe seinen Platz.
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